Kirill Petrenko bei der Probe zu Bernd Alois Zimmermanns "Die Soldaten"

Wie ein Geheimtraining beim FC Bayern: Der scheue Dirigent Kirill Petrenko lässt ausnahmsweise bei einer Probe für Bernd Alois Zimmermanns „Die Soldaten“ zuhören.
Robert Braunmüller |
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Wolfgang Sawallisch hat die Musik vor 50 Jahren noch für unaufführbar erklärt. Dann arbeitete der Komponist Bernd Alois Zimmermann seine Partitur um. Seit der Uraufführung von 1965 an der Kölner Oper gelten „Die Soldaten“ als Klassiker des modernen Musiktheaters, nur noch vergleichbar mit Alban Bergs „Wozzeck“ oder Arnold Schönbergs „Moses und Aron“.

In gut einer Woche kommt Zimmermanns unglaublich aufwändiges Werk in einer Neuinszenierung von Andreas Kriegenburg im Nationaltheater heraus. Sawallischs Münchner Nach-Nachfolger Kirill Petrenko hat sich das Werk gewünscht. Um zehn Uhr vormittags beginnt seine musikalisch Probe: Die Sänger stehen mit Notenpulten im Bühnenbild, das Orchester drängt sich im Graben. In einem entfernten Probenraum wartet eine Gruppe Schlagzeuger, die den Dirigenten nur auf einem Bildschirm sehen kann.

Petrenko gibt keine Interviews. Und normalerweise lassen sich Musiker auch nur ungern beim Probieren zuschauen. Bei den „Soldaten“ macht Petrenko eine Ausnahme: Es ist, als schaute man dem FC Bayern beim Geheimtraining mit Pep Guardiola zu.

Fein- und Fitzelarbeit

Um zehn Uhr begrüßt Petrenko das Bayerische Staatsorchester und nimmt per Walkie-Talkie Kontakt mit den fernen Schlagzeugern auf. Dann beginnt er mit der fünften Szene des ersten Akts, dem „Notturno I“, einer Nachtszene. Marie schwankt zwischen ihrem bürgerlichen Verlobten und einem zwielichtigen Adeligen. Verzweifelt steht sie im Schlafzimmer, ein Gewitter zieht auf.

Petrenko dirigiert ein längeres Stück, dann bricht er ab und wiederholt akribisch einzelne Takte. Der in Sibirien geborene und in Vorarlberg aufgewachsene Petrenko redet mit dem Orchester deutsch und mit den internationalen Solisten englisch. Er hat natürlich die Noten vor sich liegen, aber er kennt das Stück so gut wie auswendig. Ohne jedes Blättern oder gar Nachdenken sagt er Stellen an, die er noch einmal hören will: „Bitte drei Takte vor Gustav“ – nach den Studier-Buchstaben, die in der Partitur für Orientierung sorgen. Als einmal ein Musiker versehentlich ein paar Takte auslässt, merkt er es sofort.

Es ist eine Fitzel- und Feinarbeit, der monatelange Proben mit den Solisten und dem Orchester vorangegangen sind. Nach einer halben Stunde kommen die Sänger dran, die bei einer solchen Probe nicht im Zentrum stehen. Dennoch: Schon jetzt muss man übrigens kein Prophet sei, um vorherzusagen, dass auch jene Opernfans, die der Musik des 20. Jahrhunderts eher skeptisch gegenüberstehen, von der Sopranistin Barbara Hannigan begeistert sein werden: Sie singt die weibliche Hauptrolle mit einer unglaublichen Intensität und Genauigkeit.

Intensive Musik

Die Atmosphäre ist konzentriert und zugleich entspannt: Es wird gelacht, der Dirigent spart nicht mit motivierendem Lob und sagt „wir“, wenn er das Orchester meint. Petrenko gibt knappe Anweisungen, riskiert aber auch einmal blumige Vergleiche und lobt eine Stelle, die er für gelungen komponiert hält. Während der Pause überlegt er mit einem Musiker, wie sich der Klang einer mit dem Lautsprecher übertragenen Trommel perfektionieren lässt und verabredet sich mit einigen Bläsern zu einer Zusatz-Probe.

Am Ende des Vormittags stand eine Szene zwischen Marie, Charlotte und der Gräfin, die Petrenko kurzerhand mit dem „Rosenkavalier“-Terzett verglich. Was wir als Einladung an alle weiterreichen, die sich nicht sicher sind, ob sie zwei Stunden Oper des 20.<TH>Jahrhunderts aushalten. Zimmermanns Musik ist gewiss nicht so süß wie die von Richard Strauss – dafür viel intensiver. Und unter Petrenko in jedem Fall ein Erlebnis.

Ab 25. Mai im Nationaltheater, 19 Uhr. Karten unter Telefon 2180-1960

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