Kein Puritanismus, bitte!

Am Ende ist der Zuschauer high: Das kluge und vor Sarkasmus sprühende Musical „Kifferwahn“ von Gärtnerplatz- und Akademietheater
Robert Braunmüller |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News

Zur Pause war die Verwunderung nicht gering. Was will dieses Stück? Man weiß zwar, dass der scheidende Präsident der Bayerischen Theaterakademie einem guten Glas Weißwein nicht abgeneigt ist und eine Staatsbrauerei die Premierenfeiern im Prinzregententheater unterstützt.

Aber den Konsum von Marihuana verharmlosen? Das ginge dann doch zu weit. So sprach der kleine Puritaner im Hirn des Rezensenten. Denn das Musical „Kifferwahn“ zieht einen bierernst gemeinten Anti-Drogen-Film aus dem Jahr 1937 durch den Kakao. Ein kopfiger Schüler wird von seiner Angebeteten genötigt, an einem Tanzwettbewerb teilzunehmen. Zur Lockerung raucht er eine Cannabiszigarette. Und schon rauscht der junge Mann auf der schiefen Bahn abwärts: Er klaut den Pelzmantel seiner Mutter, raubt den Opferstock in der Kirche aus, begeht Fahrerflucht, erschießt seine Geliebte und endet zuletzt auf dem elektrischen Stuhl.

Die Geschichte wird vom alarmierten Bürgermeister eines amerikanischen Provinzkaffs flott im Stil des Epischen Theaters erzählt. Ein Nummerngirl hält Tafeln in die Höhe, die Warnungen auf heutigen Zigarettenschachteln gleichen. Die Regisseurin und Choreografin Ricarda Regina Ludigkeit lässt die Studenten der Musical-Klasse flott tanzen, Andreas Kowalewitz vom Gärtnerplatztheater und vier Musiker spielen die verdünnte Rockmusik von Dan Studney mit Drive.

Vor der Pause erscheint Jesus, was als Wink für die Fortsetzung zu verstehen ist. Danach wird die Geschichte dermaßen parodistisch überdreht, dass kein Zweifel möglich ist: „Kifferwahn“ veräppelt das Verbieten an sich und den puritanischen US-Kontrollwahn gleich mit, der hinter jedem Laster gleich Kommunismus und Terrorismus wittert. Da wird dieses Musical von 1999 plötzlich brandaktuell, obwohl sich die Aufführung jede Anspielung auf aktuelle Affären verkneift.

Die Kostüme im Stil der 1930er-Jahre sind ausgesprochen hübsch (Ausstattung Rainer Sinell). Benjamin A. Merkl verkörpert den verklemmten jungen Mann ausgesprochen glaubhaft, seine Mitstudenten aus der Musicalklasse liefern eine exzellente Ensemble-Leistung ab. Auch wenn die Musik ein wenig schwächelt: Diese sehenswerte Koproduktion von Theaterakademie, Gärtnerplatztheater und Musikhochschule führt vor, dass es nicht nur scheintote, sondern auch kluge, vor Sarkasmus nur so sprühende Musicals gibt. In München erfährt man das leider viel zu selten.

Akademietheater im Prinzregententheater, 18., 19., 20., 22., 25., 26. 2., 20 Uhr, Tel.  2185-2899

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.