Kritik

"Katja Kabanova" in Salzburg: Die hohe Kunst des Weglassens

Salzburger Festspiele: Barrie Kosky und Jakub Hruša bringen eine faszinierend reduzierte Aufführung von Leoš Janáčeks "Katja Kabanova" in der Felsenreitschule heraus.
von  Robert Braunmüller
Corinne Winters (Katja) schlägt mit dem Stock der Kabanicha um sich. Um sie herum: Benjamin Hulett (Kudrjáš), Jaroslav Březina (Tichon) und Kabanicha (Evelyn Herlitzius) und die aus Puppen und Kleindarstellern zusammengesetzte Masse am Ende des zweiten Akts von Janáčeks Oper.
Corinne Winters (Katja) schlägt mit dem Stock der Kabanicha um sich. Um sie herum: Benjamin Hulett (Kudrjáš), Jaroslav Březina (Tichon) und Kabanicha (Evelyn Herlitzius) und die aus Puppen und Kleindarstellern zusammengesetzte Masse am Ende des zweiten Akts von Janáčeks Oper. © Monika Rittershaus/SF

Eben haben noch munter die Vögel gezwitschert, nun befinden wir uns mit einer riesigen Menschenmenge vor einer abweisenden Felswand. Eine zarte, hochnervöse junge Frau löst sich aus der Menge, sie läuft zu Leoš Janáčeks von düsterem Blech grundierter Sehnsuchtsmusik über die Bühne. Die undurchdringliche Wand bremst ihren Aufbruch. Aus ihrem Körper spricht eine neurotische Unruhe: Das Problem ist nicht nur die gesellschaftliche Enge, sondern auch sie selbst.

Barrie Kosky setzt gleich zu Beginn von "Katja Kabanova" den Konflikt dieser Oper sinnfällig ins Bild. Seine Salzburger Neuinszenierung konzentriert sich in der Felsenreitschule auf das einfachste, wirkungsvollste und ursprünglichste Medium des Theaters: den Menschen und seinen Körper. Dass die riesige, regungslose und zwischen den Szenen nur leicht umgruppierte Masse aus 410 Puppen und nur 42 lebendigen Kleindarstellern besteht, ahnt der Zuschauer womöglich nach einiger Zeit, ohne dass der starke Eindruck erratisch abweisender Geschlossenheit irgendwie gemindert würde.

Es bleibt eine Partitur des frühen 20. Jahrhunderts

Die Darsteller hören in ihren Bewegungen auf die von den Wiener Philharmonikern mit herbsüßer Schönheit entfaltete Musik. Jakub Hrušas Sicht auf Janáček betont durchaus die wohlige, vom Orchester satt und zugleich transparent ausgespielte Bindung an die böhmische Tradition. Aber der eherne Klang der Blechbläser und die bedrohlichen Schläge auf hohe Pauken machen immer wieder deutlich, dass es sich um eine Partitur des frühen 20. Jahrhunderts handelt.

Schlüssiger ist diese Doppelgestalt von Janáčeks Musik in den 90 pausenlosen Minuten dieser Aufführung schon lange nicht mehr realisiert worden, schöner wohl überhaupt noch nie.

Weniger ist fast immer mehr

Auf der Bühne wird mit aufwändiger Schlichtheit demonstriert, dass weniger im Theater fast immer mehr ist. Es gibt keine Meta-Ebene, sondern Psychologie pur. Ein herausragend gutes Ensemble aus Sängerdarstellern zeichnet die Atmosphäre trostloser Gefühlskälte nach, die Katja in den Ehebruch treibt. Die Inszenierung arbeitet schlüssig mit der zeichenhaften Körperlichkeit der Sänger charakterliche Widersprüche heraus: Jaroslav Březina singt und spielt den Tichon, Katjas Mann, als schwächlichen, emotional gehemmten und von seiner Mutter tyrannisierten Alkoholiker, was auf den ersten Blick kaum zu seinem bulligen Äußeren passt, auf den zweiten aber schon.

"Katja Kabanova" auf der Bühne der Felsenreitschule
"Katja Kabanova" auf der Bühne der Felsenreitschule © Monika Rittershaus/SF

Diese Differenzierung der Figuren durch Widersprüche ist eine große Stärke der Aufführung. Kosky beobachtet die Figuren, ohne sie bloßzustellen, auch wenn die sadomasochistische Beziehung zwischen Dikoj und der Kabanicha unmissverständlicher verdeutlicht wird als sonst, wenn sie ihn mit einem Würstchen wie einen Hund lockt und in der Unterhose herumscheucht. Aber Evelyn Herlitzius spielt kein Monster, sondern eine trotz ihrer Fühllosigkeit erschreckend normale Frau, während Jens Larsen, wenn er sich aufregt, ein wenig an einen Louis de Funès ohne Grimassen erinnert.

Kosky gelingt das paradoxe Kunststück, durch die geschlossenen Logen (Bühne: Rufus Didwiszus) und die Masse auf der riesigen Bühne im riesigen Raum ein Gefühl der Beengtheit zu erzeugen. Die Kostüme (Victoria Behr) haben einen ganz leichten Hauch von Osten, aber letztendlich spielt die Handlung überall.

Corinne Winters geht ganz in der Figur der Katja auf

Ein nasses Kleid am Ende und der Spazierstock der Kabanicha sind die einzigen Requisiten. Den entreißt ihr Katja, wenn sie nach dem Geständnis ihres Ehebruchs mit Boris (David Butt Philipp) einen wild-vergeblichen Veitstanz aufführt und auf ihre Umgebung einschlägt.

Die amerikanische Sopranistin Corinne Winters geht ganz in der Figur der Katja auf, so dass sich am Ende die Frage kaum beantworten lässt, wie sie gesungen hat: Das möge als maximale Wertschätzung für dichtestes Musiktheater verstanden werden. Auch die übrigen Sängerinnen und Sänger, darunter Jarmila Balážová (Varvara) sind ausnahmslos ähnlich stark.

Corinne Winters als Katja Kabanova.
Corinne Winters als Katja Kabanova. © Monika Rittershaus/SF

Schon einmal, 1998, brachten Christoph Marthaler (Regie) und Sylvain Cambreling (Dirigent) eine ähnlich eindringliche "Katja" heraus.

Koskys Inszenierung und Hrušas musikalische Leitung sind absolut ebenbürtig. In einem Sommer voller Firlefanz und übergestülpten Konzepten ist es erfrischend wie eine kalte Dusche, in Salzburg mit purem psychologischem Theater konfrontiert zu werden - und das ausgerechnet durch einen Regisseur, der sonst Federboas und Glitzervorhänge nicht verschmäht.


Wieder am 11., 14., 21. und 26. August in der Felsenreitschule. Restkarten und Infos unter salzburgfestival.at

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