Kammerspiele: Die Schatten der Vergangenheit
Flotte Sprüche haben oft mehrere Väter. Der ghanaische Bundesliga-Fußballer Anthony Baffoe soll nach Kassieren einer Gelben Karte mit dem Satz "Mann, wir Schwarzen müssen doch zusammenhalten" an die Solidarität des Schiedsrichters appelliert haben. Dem sehr deutschen Schlagersänger Roberto Blanco mit kubanischem Familienhintergrund brachte dieser Satz die Ehrenmitgliedschaft der CSU ein. Als Urheber dieser Worte gilt aber Franz Josef Strauß. 1983 besuchte Bayerns Ministerpräsident Togo und besiegelte die Geschäfte, die er mit dem togoischen Präsidenten Gnassingbé Eyadéma ausgehandelt hatte, mit jenem Satz.
Bier und Weißwurst für Afrika
Der weiße Mann ging dabei selbstverständlich davon aus, dass die politische Farbenlehre in Deutschland, nach der seine konservative Partei "schwarz" ist, auch in einer westafrikanischen Diktatur geläufig ist. Zu seiner Entourage gehörte Josef März, der Inhaber des Nahrungsmittelkonzerns Marox in Rosenheim, der einen Branchenmix aus Molkereien, Brauereien und Fleischverarbeitung betrieb. Strauß und März ging es, nicht zuletzt, um Bier und Weißwurst für Afrika. Anlass für die Reise war aber auch, die 100-jährige "deutsch-togoische Freundschaft" zu feiern, auch wenn das deutsche Territorium bereits 1916 an Frankreich fiel.
Die Gegenwart als Verlängerung der Kolonialgeschichte
Natürlich war das Verhältnis zwischen dem Deutschen Reich und Togo nie freundschaftlich, sondern beruhte auf kolonialer Unterwerfung. Jan-Christoph Gockel stieß bei seinen Recherchen für die jüngste Stückentwicklung der Kammerspiele auf die besonderen Verbindungen zwischen dem Freistaat und der damaligen Militärdiktatur in den 80ern. "Wir Schwarzen müssen zusammenhalten - Eine Erwiderung" ist eine intensive Zeitreise vom Ersten Weltkrieg bis heute, die die Gegenwart als eine Verlängerung der Kolonialgeschichte schildert.
Orte und Zeiten verschmelzen im Livestream
Aus den seuchenbedingten Theaterschließungen macht Gockel das Beste und nutzt den Livestream aus dem Werkraum souverän als multimediale Wundertüte, in der Genres und Erzählformen ebenso verschmelzen wie Orte und Zeiten. Zeigte er mit seinem Ernst-Toller-Abend im vergangenen Herbst noch Neigung zu umständlicher Vollständigkeit, so ist das Franz-Josef-Strauß-Bashing sehr fokussiert, von hoher Dichte und dennoch fast spielerisch. Sogar der fragwürdige Trick, eine zeitreisende Geisterjägerin als Protagonistin einzuführen, wird nie peinlich.
Eine zeitreisende Geisterjägerin
Zu Schauspiel, Figurentheater oder Comics kommen Videoeinspieler, die zum Teil in Togo produziert wurden und Liveschaltungen ins abendliche Lomé, der Hauptstadt am Golf von Guinea. Die Ghostbusterin heißt Cycy (Nancy Mensah-Offei), was sich anhört wie "Sissi", reist durch die Jahrhunderte und erledigt Aufträge besonderer Art: Sie vernichtet Schatten, die Dämonen der Geschichte. 1914 wird sie von dem Funker Siegfried Gaba Bismarck (Komi Togbonou) nach Togo gerufen. Er wird heimgesucht von Franz Josef Strauß. Der umtriebige Strippenzieher erscheint hier als Marionette, gebaut und geführt von Michael Pietsch.
"Ich bin kein Kolonist. Ich bin Metzger"
Zwar ist es keine neue Erkenntnis, dass FJS ein Politiker mit äußerst flexibler Moral war, aber das Entscheidende dieser 90 Minuten ist die afrikanische Perspektive. Mit steigender Dramatik erzeugt die "Doku-Fiktion" einen Sog, der tief in die Historie einer Fremdherrschaft und die Zerstörung von kultureller und individueller Identität führt. Sogar der bayerische Fleischfabrikant März (Martin Weigel) zeigt sich am Ende überfordert von Rassismus, Korruption und Spezlwirtschaft: "Ich bin kein Kolonist. Ich bin Metzger." Dabei werde die deutsche Kolonialherrschaft, zumindest von den älteren Togolesen, noch bis heute verklärt, wie Jeannine Dissirama Bessoga aus Lomé berichtet. Vor allem deutsches Bier werde dem französischen vorgezogen. Das dürfte in München auf großes Verständnis treffen.
www.muenchner-kammerspiele.de, wieder Montag, 20 Uhr