Interview

Kammerspiel-Intendantin Barbara Mundel: Zukunftsmut statt Krisenmodus

Saisonstart an den Kammerspielen: Intendantin Barbara Mundel über die Pläne an ihrem Haus.
von  Michael Stadler
Saisonstart im Werkraum: "La Mer Sombre" ist ein von Pınar Karabulut inszenierter Abend mit Texten und Gedanken von Claude Cahun. Es spielen Thomas Hauser, Gro Swantje Kohlhof und Christian Löber.
Saisonstart im Werkraum: "La Mer Sombre" ist ein von Pınar Karabulut inszenierter Abend mit Texten und Gedanken von Claude Cahun. Es spielen Thomas Hauser, Gro Swantje Kohlhof und Christian Löber. © Julian Baumann

Im Sommer gab die Stadt bekannt, dass der Vertrag von Barbara Mundel als Intendantin der Kammerspiele bis zum Ende der Spielzeit 2027/28 verlängert wird. Dadurch haben Mundel und ihr künstlerisches Team die Möglichkeit, ihre Arbeit, die durch Corona immer wieder gestört wurde, in einem größeren Zeitrahmen fortzusetzen. Einfach ist die Lage derzeit nicht: Die Auslastung der Kammerspiele lag zuletzt bei 58 Prozent, die Pandemie wirkt weiter auf die Planungen ein. Mundel wirkt dennoch zuversichtlich und klingt kämpferisch, wenn es um die "Krise des Theaters" geht.

AZ: Frau Mundel, gehen Sie dieses Jahr aufs Oktoberfest?
BARBARA MUNDEL: Nein. Früher, als ich hier studiert habe, bin ich mit Freundinnen und Freunden aufs Oktoberfest gegangen. Und ich würde jetzt gerne auf die "Oide Wiesn" gehen, aber ich bin gerade mit anderen Themen beschäftigt.

Vermutlich auch mit den Zuschauerzahlen. Wenn Sie einen Bruchteil der Leute, die gerade aufs Oktoberfest gehen, ins Theater locken könnten, wäre das sicherlich eine schöne Sache.
Aber jetzt ernsthaft: Nein, nicht nur Zuschauerzahlen. Manchmal beschäftigen mich doch tatsächlich auch andere Fragen, und es gibt ja ganz viele Menschen, die sagen und in Artikeln schreiben, was man tun sollte, damit mehr Menschen ins Theater kommen. Aber so richtig hilfreich finde ich diese Ratschläge nicht. Es ist klar, dass Theater sich immer weiterentwickeln muss, strukturell wie inhaltlich. Aber dass das passieren soll, indem man jetzt wieder die alten Rezepte herausholt – das halte ich für zu einfach gedacht. Ich versuche jetzt erstmal, positiv daran zu glauben, dass wir ein tolles Programm für diese Spielzeit haben und dass die Menschen wieder anfangen, sich sowohl für Unterhaltung als auch existenzielle Fragen zu interessieren; dass sie in Zeiten, in denen es ja viel zum Nachdenken und Diskutieren gibt, die Kunst auch für sich brauchen!

Mit den "alten Rezepten" ist der Ratschlag gemeint, dass man bekannte Stücke zeigen sollte und zwar möglichst mit bekannten Darstellerinnen und Darstellern. Als Beispiel wird dafür gerne Max Frischs "Mein Name sei Gantenbein" genannt, als Solo mit Matthias Brandt am Berliner Ensemble.
Mag sein, dass diese Inszenierung erfolgreich ist. Aber man könnte ja auch mal darüber diskutieren, ob Max Frisch wirklich ein Autor ist, den man heute unbedingt spielen sollte. Wir haben am 20. November eine Lesung des Briefwechsels zwischen Ingeborg Bachmann und Frisch, da schlackern einem die Ohren, wenn man das hört. Und dieser Tipp, bekannte Namen und dann geht die Post ab – ich finde, das ist eigentlich auch nicht unser ganzer Auftrag. Das ist doch nicht das, wofür wir Subventionen bekommen! Tatsächlich stellt sich – auch in Solidarität mit anderen Kulturinstitutionen – die Frage, ob hinter allem wirklich eine "Krise des Theaters" oder eine "Krise des Kinos" steckt oder ob man nicht von einer "Krise der Gesellschaft" sprechen müsste. Was genau wollen wir denn am Rückgang der Zuschauerzahlen ablesen, mit wieviel Häme wollen wir dem begegnen, wo es doch ganz klar ist, dass Theater und Kino für unsere Gesellschaft ganz wichtig sind? Dazu fehlt mir bislang eine kluge Auseinandersetzung.

"Das Gagengefüge stimmt jetzt insgesamt nicht mehr"

Die Leute sind wohl auch im Zuge der Pandemie bequemer geworden, ängstlicher…
…sparsamer, vorsichtiger... Ohne Häme: Lieber zu Andreas Gabalier, Helene Fischer und Robbie Williams, da weiß man, was man für sein Geld bekommt. Lebensgier ja, sich mit tiefergehenden Themen auseinandersetzen, lieber nicht. Für mich fühlt sich das wie ein Tanz auf dem Vulkan an. Die Welt ist so kompliziert, dass man ihr lieber entfliehen möchte. Das hat ja auch seine Berechtigung, kann aber doch nicht alles sein.

Um zumindest die finanziellen Schwellen zum Theaterbesuch abzubauen, werden die Eintrittspreise für jüngeres Publikum gesenkt.
Ja, in dieser Spielzeit können wir allen Menschen bis 30 Jahren anbieten, dass sie für 10 Euro ins Theater gehen können. Und wir versuchen, endlich mehr raus in die Stadt zu kommen, nachdem das in Coronazeiten kaum möglich war. In diesem Herbst eröffnen wir im "Shaere" in Neuperlach einen Produktionsraum. Die Kooperationen mit den Schulen dort haben wir intensiviert und werden jetzt hoffentlich insgesamt in unserer Vernetzungsarbeit vorankommen.

Auch inhaltlich verfolgen die Kammerspiele weiterhin einen progressiven Kurs. Sie starten in die Saison mit "LA MER SOMBRE" im Werkraum, einen Abend, der sich mit der französischen Fotografin und Schriftstellerin Claude Cahun auseinandersetzt, die sich auch binären Geschlechtercodes widersetzte. Sie ist eine wichtige Künstlerpersönlichkeit, aber sicherlich auch nicht jedem bekannt.
Ich finde schon, dass Claude Cahun bekannt ist, aber nun mal nicht im Sinne einer Fernsehberühmtheit. Bei der diesjährigen Kunstbiennale in Venedig wurden in der Hauptausstellung vornehmlich weibliche Positionen ausgestellt, darunter waren Werke von Surrealistinnen wie Leonora Carrington und Claude Cahun. Und die fotografischen Selbst-Porträts von Cahun kennt man doch. Wir haben uns schon vor zwei Jahren überlegt, dass es doch interessant wäre, auch Cahuns Biografie und ihr literarisches Werk genauer zu beleuchten. Einige ihrer Texte wurden erst jetzt ins Deutsche übersetzt, diese erscheinen praktisch zeitgleich mit der Inszenierung. Das NS-Dokumentationszentrum zeichnet zudem in einer Ausstellung die Geschichte der queeren Community nach – auch da wird Cahun vorkommen. Ob sie dadurch einer breiteren Masse bekannt wird, kann ich natürlich nicht vorhersagen.

Aber Sie setzen damit auf jeden Fall eine Reihe von Inszenierungen fort, in denen Künstlerinnen im Fokus stehen, die einst berühmt waren.
Oder die überhaupt mal berühmt werden sollten! Dazu gehören Gabriele Tergit mit ihrem Roman "Effingers" oder Gisela Elsner. Pınar Karabulut hat mit "Der Sprung vom Elfenbeinturm" einen tollen Elsner-Abend inszeniert und ich bin mir sicher, dieser Abend hätte sich beim Publikum noch mehr durchgesetzt, wenn es die Pandemie nicht gegeben hätte. Diese Lockdowns und Aufführungsausfälle sind für die Laufbahn einer Inszenierung nun mal fatal. Dennoch möchte ich gerade an dem Gisela-Elsner-Abend gerne festhalten.

Im Oktober-Spielplan fehlt er aber sowie größere Produktionen wie "Heldenplatz" und "Effingers".
Weil wir es nicht schaffen, gleichzeitig zu den Endproben für die neuen Stücke auch noch Wiederaufnahme-Proben anzusetzen. Wir merken einfach, dass das Haus durch Corona sehr strapaziert ist. Die zwei Monate vor Ende der letzten Spielzeit waren wirklich die schlimmsten: Im Ensemble, in den Werkstätten – alle haben sich reihum angesteckt, nicht im Theater, so dass wir ständig umdisponieren mussten. Eigentlich hatten wir ja ein langes Saison-Eröffnungswochenende geplant, mit "LA MER SOMBRE" im Werkraum und gleich im Anschluss "Nora" und "Die Freiheit einer Frau" im Schauspielhaus. Aber im Team von "Nora" kam es vor der Sommerpause ebenfalls zu Corona-Infektionen, weshalb wir die Inszenierungen im Schauspielhaus eine Woche nach hinten verschieben mussten.

Was erklärt, wieso die Spielzeiteröffnung etwas zerfleddert ist.
Genau. Und jede Verschiebung bringt weitere Verschiebungen mit sich. Zudem haben wir die meisten Inszenierungen ja noch gar nicht so häufig gespielt – da hat sich einiges im Repertoire angesammelt. Um aber die Qualität der einzelnen Stücke zu garantieren, braucht es genug Zeit für die Wiederaufnahme-Proben. Deshalb haben wir uns dazu entschieden, erstmal eine Auswahl an Stücken in der ersten Spielzeithälfte wiederaufzunehmen und eine weitere Auswahl dann in der zweiten.

Sie mussten den "Notgroschen" aus dem Eigenbetrieb des Hauses von 2,8 Millionen Euro bereits in der letzten Saison verbrauchen. Müssen Sie bei den geplanten Produktionen dieser Spielzeit sparen?
Für diese Spielzeit sieht es gut aus, aber wie das weitergeht, ist noch nicht geklärt. Die Verabschiedung des Kulturhaushaltes für das nächste Jahr findet erst im Winter statt. Deswegen haben wir uns vor zwei Jahren auch so vehement gewehrt, weil die Haushaltspläne der Stadt und die Planungsvorläufe, die wir als Theater haben, überhaupt nicht zusammengehen. Wir starten jetzt optimistisch in diese Spielzeit, aber es lässt sich jetzt natürlich noch nicht absehen, wie sich die erhöhten Energiekosten auf unseren Betrieb auswirken werden. Spürbar werden sie aber auf jeden Fall. Wir haben auch eine Steigerung hinsichtlich der Materialkosten, die ist wirklich irrwitzig.

Die Genossenschaft der Deutschen Bühnen-Angehörigen hat höhere Anfänger-Gagen für Schauspielende erkämpft, von 2.000 Euro auf rund 2.700 Euro. Was auf den Etat wohl auch Auswirkungen hat?
Natürlich. Denn das Gagengefüge stimmt jetzt insgesamt nicht mehr. All jene, die seit mehreren Jahren an einem Haus spielen, müssten auch eine Erhöhung bekommen. Es gibt aber wohl kaum ein Theater, das dafür das Geld hat.

Was den Energie-Sparkurs der Stadt angeht, wird von bis zu 20 Prozent gesprochen. Die Maßnahmen sind vermutlich: Am Abend die Außenbeleuchtung wegfallen lassen…
…in den Fluren die Temperatur senken oder gar nicht mehr heizen, in den Büros auf 19 Grad senken…

Auch im Theater selbst?
Auch dort versuchen wir die Temperatur zu regulieren, haben aber diesbezüglich noch keine Erfahrungen, weil die Spielzeit erst beginnt. Wir verlassen uns auf die Expertise der Energiebeauftragten, sie kennen die Abläufe am besten. Das Bewusstsein ist geschärft für das, was wir alles tun können, aber wir kommen dann vielleicht auf 10 Prozent. Wenn tatsächlich 15 bis 20 Prozent gewollt sind, muss man zu radikaleren Methoden greifen.

Zum Beispiel?
Zum Beispiel das Theater schließen. Mehr Schließtage. Das schafft man aber kurzfristig nicht und es wäre nach Corona gesellschaftlich fatal.

Die Zukunft sieht nicht unbedingt rosig aus, aber Sie haben, wie zum Trotz, eine Kampagne mit dem Titel "Die Zukünftigen" gestartet. Unter den Menschen, die sich da zu einer Gruppe zusammenfindet, finden sich sowohl historische Figuren wie Therese Giehse und Claude Cahun als auch Ensemblemitglieder wie Annette Paulmann. Diese "Zukünftigen" wirken fast wie Marvel-Helden…
Das ist gar nicht so falsch. Wir wollen raus aus der Dystopie und der Krisen-Depression und gemeinsam mit diesen Figuren, die zum Teil historisch sind, mutiger in die Zukunft blicken. Ich fühle mich absolut bestätigt darin, dass wir unsere Gegenwart immer auch in Bezug auf die Geschichte sehen müssen. Wenn man sich jetzt den Ukraine-Krieg ansieht, geht es ja Putin genau darum: dass er die Historie für sich reklamieren will. Diesem Kampf um die Deutungshoheit mit all seinen Verfälschungen kann man eigentlich nur mit Bildung und Wissen begegnen. Beschäftigt man sich eingehender mit der Vergangenheit, findet man überraschend Verbündete für die Zukunft.


Am Donnerstag beginnt die Spielzeit an den Kammerspielen mit "LA MER SOMBRE" im Werkraum, 20 Uhr (ausverkauft). Für die 2. Vorstellung am Freitag gibt es noch Karten. Am Freitag, den 7.10., folgt das Premieren-Doppel "Nora" und "Die Freiheit einer Frau" im Schauspielhaus (19 Uhr, Karten erhältlich).

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