Kritik

Kafkas "Schloss" im Residenztheater

Karin Henkel bringt den unvollendeten Roman kafkaesk komisch auf die Bühne des Residenztheaters
von  Robert Braunmüller
Kafka-Slapstick mit Michael Goldberg, Vincent zur Linden und Carolin Conrad als mehrfachem Landvermesser, hier mit Evelyne Gugolz und Nicola Mastroberardino als Gehilfen in Karin Henkels Bühnenfassung von Kafkas "Das Schloss".
Kafka-Slapstick mit Michael Goldberg, Vincent zur Linden und Carolin Conrad als mehrfachem Landvermesser, hier mit Evelyne Gugolz und Nicola Mastroberardino als Gehilfen in Karin Henkels Bühnenfassung von Kafkas "Das Schloss". © Lalo Jodlbauer

Ach ja, Heiner Müllers "Mann im Fahrstuhl"! Diese Größe des Theaters der Neunziger war ein Sidekick zu den frustrierten Agenten der Französische Revolution auf Haiti im Drama "Der Auftrag". Damals fiel er schon aus Zeit und Raum, und nun findet er sich unversehens auf der Bühne des Residenztheaters wieder, wo Kafkas "Das Schloss" inszeniert werden soll.

Freilich braucht niemand zu fürchten, die Regisseurin Karin Henkel und ihre Dramaturgin Rita Thiele würden mit Müllers Zynismus die Schilderung einer chaotischen Bürokratie zu einer schwarzen Dystopie hochschaukeln. Ihre Bühnenadaption interessiert sich mehr für die surreale Komik des Landvermessers K., der einen Auftrag erhalten hat, obwohl ihn niemand braucht. Und dafür scheint ein Hochhaus mit vielen Räumen und Fahrstühlen der glaubhaftere Ort als ein verschneites Dorf irgendwo in der böhmischen Provinz.

Der Text des Romans wird eher sparsam dosiert. Einzelne Situationen sind auf ihre Essenz verdichtet, diverse Figuren zusammengezogen. Ein dämlich zwitscherndes Fräulein Frieda oder Pepi (Vassilissa Reznikoff) bittet Herrn K., allerlei nutzlose Formulare auszufüllen, wie man es von Arzt- und Behördenbesuchen kennt. Daraus entsteht solidester Slapstick, weil es mehrere Landvermesser, zum Verwechseln ähnliche Gehilfen und diverse Nebenfiguren gibt, zwischen denen die Darstellerinnen und Darsteller bei jeder Vierteldrehung der Bühne hin- und herspringen. Höchst famose Kinder multiplizieren die Figuren weiter.

Nie wirklich böse

Das Hochhaus (Bühne: Thilo Reuther) ist eine hermetische Welt, die Fremde nicht mag und durch Uniformen gelegentlich auch faschistische Züge zeigt. Aber wie in Kafkas Roman ist die Bürokratie auch bei Karin Henkel nie wirklich böse: Sie zermalmt den von vorwiegend von Carolin Conrad und Vincent zur Linden dargestellten Landvermesser eher durch ihre umständliche Besorgtheit. Darin ist sie dem Hygieneregime der Corona-Zeit nicht ganz unähnlich, worauf die Inszenierung anspielt, ohne klar Farbe zu bekennen.

Wie schon bei Kafka wird kaum ein Dialog sinnvoll zu Ende geführt. Jeder Doppelgänger plappert etwas anderes, immer wieder bleibt der Landvermesser in einer Warteschleife hängen, für deren Musik zwischendurch Pollyester sorgt.

"Das Schloss" im Residenztheater
"Das Schloss" im Residenztheater © Lalo Jodlbauer

Die gut geölte Mechanik der Aufführung erinnert von fern an die klappernden Schranktüren einer Farce. Das liefert - zusammen mit dem virtuosen Austausch von Doppelgängern einen höheren Schauwert, als er sonst im Sprechtheater üblich ist. Der Preis dafür ist hoch: Alle Schauspielerinnen und Schauspieler zappeln wie Marionetten an der Hand der Regisseurin und nicht einmal die vier Landvermesser entwickeln ein stärkeres individuelles Profil.

Ungefähr die Hälfte oder auch zwei Drittel des Romanfragments werden auf diese Weise flüchtig durchgeblättert, der Rest bleibt ungelesen. Gegen Ende weitet sich die pausenlose Aufführung zu einer Art Kafka-Revue. Die unvermeidlichen Käfer krabbeln, irgendwann zeigt die Bürokratie mit Anspielungen auf die Erzählung "In der Strafkolonie" auch ihre Folterinstrumente vor. Dann verschwimmt das "Schloss" mit dem "Prozess", was durchaus nicht abwegig ist.

Es wurde viel gelacht

Zuletzt wird gestorben. Heiner Müller lässt wieder grüßen, und der Sekretär Momos hat seinen Auftritt. Wir erfahren, dass der Mensch womöglich glücklicher wäre, wenn er sich nicht auf Apparate und höhere Obere verlassen würde. Diese Aufforderung zur Selbstermächtigung bleibt im Angestellten-Umfeld aber mehr ein neoliberaler Kalenderspruch, dessen Probleme die Aufführung nicht reflektiert.

Dass in der Premiere viel gelacht wurde, ist allerdings zu begrüßen: Kafkas absurder Humor wurde von der Wirkungsgeschichte vielfach unterschlagen. Und Komik ist auch sonst keine Herzensangelegenheit des gegenwärtigen Theaters. Aber sonst? Karin Henkel tappt immerhin nicht in die gefährlichste Falle aller Roman-Inszenierungen: Sie zeigt etwas, statt respektvoll heilige Texte aufsagen zu lassen. Dass Heiner Müller bemüht wurde, scheint allerdings ein Indiz dafür sein, dass die Regisseurin mit dem "Schloss" letztendlich doch wenig anfangen kann. Aber an Kafka zu scheitern, ist durchaus nicht ehrenrührig.

Residenztheater, wieder am 15. und 16. Februar, 5., 10. und 17. März, Karten unter Telefon 2185 1940 und residenztheater.de

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