Kritik

"Julius Caesar" im Passionstheater

Christian Stückl inszeniert Shakespeares Römerdrama in Oberammergau
von  Robert Braunmüller
"Und Brutus ist ein ehrenwerter Mann": Cengiz Görür (Marcus Antonius) hält in Oberammergau die Leichenrede auf den ermordeten Julius Caesar (Andreas Richter).
"Und Brutus ist ein ehrenwerter Mann": Cengiz Görür (Marcus Antonius) hält in Oberammergau die Leichenrede auf den ermordeten Julius Caesar (Andreas Richter). © Arno Declair

Intendanten und Dramaturgen mögen Shakespeares Historien und Römerdramen weniger. Es gibt kaum Frauenrollen, die vor einem Jahrhundert im Sprechtheater ausgestorbenen Massenszenen sind unverzichtbar. Das alles verbindet diese Stücke aber mit dem Oberammergauer Passionsspiel, und so ist es nur konsequent, dass sich Christian Stückl nach "Antonius und Cleopatra" vor elf Jahren heuer "Julius Caesar" vorgenommen hat, um das Dorf nicht aus der Theater-Übung zu entlassen.

Togen und Rüstungen bleiben allerdings im Fundus. Stückl hat die Handlung in die Gegenwart verlegt. Caesars Frau Calpurnia (Barbara Schuster) sieht Melania Trump zum Verwechseln ähnlich. Ihr Mann liest gedruckte Zeitungen, statt zu twittern. Und so ereignet sich das Drama in einem leicht anachronistischen Hier und Jetzt mit einem roten Tischfernsprecher und unter Männern, die mit Dolchen morden und sich nach politischen Niederlagen ins Schwert stürzen, was ein wenig läppisch wirkt.

Caesar ist bei Stückl ein moderner, von seinen Anhängern gefeierter Populist. Andreas Richter - vormals Jesus und Kaiphas - spielt die Rolle effektvoll, mit zum Volk hin ausgestreckten Händen. Brutus (Ex-Judas Martin Schuster) ist ein grübelnder Intellektueller, dem die monarchischen Anwandlungen Cäsars verdächtig sind. Aber statt den Diktator politisch zu bekämpfen, lässt er sich in eine Verschwörung zu seiner Ermordung hineinziehen. Und das gibt für gegenwärtige Debatten vergleichsweise wenig her. Da bräuchte der Text eine stärker eingreifende Bearbeitung.

Die unvermeidlichen Kürzungen und die Bühnenbreite des Passionstheaters verkleinern die Figuren ins Eindimensionale. Nur der anfangs unauffällige Marcus Antonius (Ex-Judas Cengiz Görür) vermag eine Wandlung zu spielen: Er wächst mit seinen Aufgaben und glänzt in der Leichenrede ("Brutus ist ein ehrenwerter Mann"): eine bemerkenswerte rhetorische wie virtuos schauspielerische Leistung.

Das Stück tendiert schon bei Shakespeare zum sentenziösen Rampentheater und der Nacherzählung von Plutarchs Caesar-Biografie. Den Diktator und seine Frau Calpurnia trennt ein langer Tisch, wie er auch im Kreml steht. Auch zwischen Brutus und Portia (Eva Norz) regiert eine kalte, unkörperliche Distanz. Das mag inszenierende Absicht sein, aber es kommt nicht wirklich klar heraus, was uns Stückl damit sagen will, weil Shakespeare diktatorenpsychologisch nichts hergibt.

Ähnlich diffus bleibt der angedeutete Generationskonflikt. Die Verschwörung gegen Caesar ist ein Aufstand der 20- bis 30-Jährigen gegen einen Mächtigen im besten Alter. Aber für die Letzte Generation gibt es aus diesem Diskurs über das Widerstandsrecht und den Tyrannenmord wenig zu lernen. Da bleibt das Stück Latein- und Ethikuntericht, versüßt durch eine groß besetzte Bühnenmusik von Markus Zwink, die ein wenig an John Williams erinnert. Die Handbuchweisheit, dass Shakespeares zweite Hälfte schwächelt und ohne rechten Schluss mitten im Bürgerkrieg endet, kann auch diese Aufführung nicht widerlegen.

Stückl arbeitet gut heraus, dass die siegreiche Partei um Marcus Antonius, Octavius (Frederik Mayet) und Lepidus (Walter Rutz) brutaler und gerissener ist wie die von Skrupeln befallenen Verschwörer.


Das rote Machtbüro im Kasten zwischen den antiken Säulen der festen Passionskulisse erweist sich als wandlungsfähiger Schauplatz (Bühne: Stefan Hageneier). In der Schlacht bei Philippi lässt es der Regisseur filmreif krachen, um die Brutalität des Kriegs zu unterstreichen. Zumindest die vorderen Reihen des Premierenpublikums nahmen dies allerdings ziemlich ungerührt als Sommerfeuerwerk und typische Stückl-Gaudi wahr.

Das Ende ist ehrenwert pazifistisch. Aber die Inszenierung illustriert - gewollt oder ungewollt - auch das beliebte Argument, dass die Stabilität einer Diktatur dem Chaos vorzuziehen sei. Und da verschwimmt das populismuskritische Polittheater trotz bester Absichten mit einem pazifistischen Bequemlichkeitspopulismus, bei dem einem mulmig werden kann.

Wieder am 14., 15., 21. und 22. Juli sowie am 4. und 5. August, Passionstheater Oberammergau, Bus ab München ZOB, Karten und
Infos: www.passionstheater.de

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