Jubel für den Komponisten Wolfgang Rihm und seine Oper "Die Eroberung von Mexiko"
Gut, dass wir verglichen haben. Zweimal innerhalb von 24 Stunden aufgeschnittene Pulsadern und zwei Liebestode auf der Bühne: erst in Katharina Wagners Bayreuther „Tristan“ und nun bei Wolfgang Rihms „Die Eroberung von Mexico“, der ersten Opernpremiere des Salzburger Festspielsommers.
Und da werden Unterschiede deutlich. Katharina Wagners Liebespaar schlitzt sich die Arterien am stählernen Liebesgehäuse auf. Aber nach Markes Auftritt hat die Regisseurin ihren Einfall vergessen. Eine Wunderheilung? In Peter Konwitschnys Salzburger Inszenierung wird eines aus dem anderen entwickelt: Erst läuft der Mann wild herum. Er kippt einen Tequila. Dann wählt er den schönen Freitod auf dem Sofa. Seine Ex setzt sich im Finsteren neben ihn. Liebestod – anders als bei Wagner aber im Duett.
Konwitschny hat eindeutig mehr Lebens- und Beziehungserfahrung. Von der Theatererfahrung ganz zu schweigen. Beides bringt er ein. Aber erzählt die „Eroberung von Mexico“ nicht die Konfrontation zwischen Cortez und dem Aztekenherrscher Montezuma als Vergewaltigung der indianischen durch die europäische Kultur?
Das ist der Kniff dieses aufregenden Musiktheaterabends. Die musikalische Atomisierung eines verblasenen Szenariums des französischen Theatervisionärs Antonin Artaud zielt deutlich auf einen Geschlechterkampf: Rihm schrieb den Montezuma für dramatischen Sopran und die Rolle des Cortez für Bariton. Der Sprechchor „Neutral. Weiblich. Männlich“ bildet das Leitmotiv der Partitur. Vorweggenommene Gender-Theorie sozusagen.
„Wie Affen greift ihr nach dem Gold“, schreit der Chor ins Publikum
Konwitschny zog da nur die letzte Konsequenz. Anfangs erwartet eine junge Frau in ihrer Wohnung einen Liebhaber. Der streicht draußen mit einem Rosenstrauß herum, raucht nervös eine Zigarette, ehe er es wagt, an die Türe zu klopfen.
Der Wunschtraum vom wilden Sex endet im Katzenjammer. Der Mann benimmt sich, wie Kerle so sind: Er vergewaltigt die Frau, verwüstet die Wohnung und vervielfältigt sich, um vor seinesgleichen mit einem Porsche zu prahlen und einen Kasten Bier leerzusaufen.
Die Frau ist blöd genug, ihn zu heiraten. Sie wird schwanger und gebiert Produkte eines in Cupertino ansässigen Computerkonzerns. Dann setzt sie ihre Puppe aufs Sofa und verschwindet. Was man ihr nicht übelnehmen kann.
Natürlich sind das Klischees. Fürchterliche sogar. Und natürlich ist es billig, einen dezidiert anti-psychologischen Theatertext zum Beziehungsdrama glattzubügeln. Und wohlfeil, die Felsenreitschule in einen Autofriedhof zu verwandeln. Noch wohlfeiler, dem wohlgenährten Festspielpublikum „Wie Affen greift ihr nach dem Gold“ ins Gesicht zu schreien.
Aber es funktioniert. Sehr gut sogar. Rihms Musik passt wie ein Handschuh auf Konwitschnys Regie. Sie reißt mit. Sie dürfte selbst bei Verächtern Neuer Musik für das berühmte Kribbeln sorgen, weil sie unmittelbar und körperlich auf den Hörer zielt. Der Bewegungschor sitzt nach der Pause trampelnd und klatschend unter den Zuschauern. Drei Schlagzeuggruppen rücken im Zuschauerraum dem Publikum auf die Haut.
Großer Jubel für den Komponisten
Für seine Verhältnisse hat Rihm da 1991 eine ziemlich radikale Musik geschrieben. Manchmal begleiten nur zwei Geigen expressive Gesänge. Die zerlegen platzende Konsonanten und wohltönende Vokale in Geräuschmusik. Zwei Schauspieler atmen heftig. Dann brechen wieder Attacken los, als würde das ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter Ingo Metzmacher Igor Strawinskys „Sacre“ und Edgar Varesès „Octandre“ gleichzeitig spielen.
Bo Skovhus gibt den Cortez als wilden, verzweifelten Schwächling – ähnlich seinem Dr. Schön in der Münchner „Lulu“. Angela Denoke wirkt als Miss Montezuma kraftvoll wie zerbrechlich. Die in extreme Höhen aufsteigende Susanna Andersson und die gutturale Altistin Marie-Ange Todorovich assistieren ihr.
Beim Schlussapplaus trat Rihm überraschend durch die Zimmertür von Johannes Leiackers Bühnenbild. Er wurde bejubelt, als sei Mozart persönlich nach Salzburg zurückgekehrt. Leider, muss man sagen, hält er sich heute für den späten Brahms. Aber gerade deshalb ist es gut, dass das berühmteste Opernfestival der Welt das seit der Uraufführung oft nachgespielte Werk nun zum modernen Klassiker adelt.
Der mutmaßliche Knüller des Salzburger Sommers ist eine Verlegenheitsproduktion: György Kurtágs „Endspiel“ wird und wird nicht fertig. Dann kam Regisseur Luc Bondy abhanden. Nun war der Weg frei für Konwitschnys Salzburg-Debüt und die Wiedervereinigung des alten Hamburger Erfolgsduos Metzmacher-Konwitschny. Aus Missgeschicken entsteht oft das schönste Theater. Zu unser aller Glück.
Wieder am 29. Juli, 1., 4. und 10. 8. in der Felsenreitschule. Karten unter www.salzburgfestival.at