Joseph Calleja über "Carmen" und München
Mit mediterraner Leidenschaft begeistert er in italienischen und französischen Opern. Allein 2018 hat Joseph Calleja drei unterschiedliche Rollen an der Bayerischen Staatsoper interpretiert. Zuletzt war er im Januar in „Norma“ zu hören. Nun übernimmt er im Nationaltheater erstmals den Don José in Georges Bizets „Carmen“. Calleja lebt weiterhin in seiner Heimat, kommt aber beruflich wie privat ausgesprochen gerne nach Bayern.
AZ: Herr Calleja, hat München Ihr Herz erobert, dass Sie so oft bei uns sind?
Joseph Calleja: München ist einer der wenigen Orten auf dem Planeten, an dem ich leben könnte – außer auf Malta. Warum? Weil die Stadt wunderschön ist. Sie hat deutsche Disziplin und gute deutsche Straßen, aber italienisches Essen. Es gibt wunderschöne Architektur, faszinierende Geschichte, ich liebe die Leute hier. Und die Staatsoper ist eines der wunderbarsten Opernhäuser der Welt.
Was ist für Sie als Solist das Wunderbare an der Bayerischen Staatsoper?
Das Bayerische Staatsorchester ist eines der besten der Welt. Die Leitung und das Team sind Weltklasse. Jeder Einzelne von denen. Sie haben ja gar keine Vorstellung davon, wie glücklich Sie sich schätzen können, eine solche Oper zu haben. Und das sage ich nicht, weil ich hier gebucht werde, ich liebe es wirklich, hier zu singen. Außerdem ist das schöne München gar nicht weit weg von meinem weltweit liebsten Hotel, dem Schloss Elmau. Das ist ein absolutes Paradies, meine Kinder und ich lieben es.
München ist eine Bierstadt, aber Sie sind bekennender Weinliebhaber. Wie kommen Sie damit klar?
Ich trinke einfach Wein! Nein, ernsthaft: Wenn ich singe, trinke ich nicht. Und wenn doch, dann nur sehr wenig: einen Whisky. Denn Rotwein, so gerne ich ihn trinke, trocknet die Stimme aus und ist schlecht für meinen Magen, macht also nur Probleme. Es gehört zu meiner künstlerischen Disziplin, Alkohol weitgehend zu meiden, wenn ich singe. Bei mir daheim in Malta ist das natürlich etwas anderes, da gibt’s jede Menge Wein.
Mögen Sie als Malteser eigentlich auch den Münchner Winter?
Na klar! Schnee und Kälte sind für die Stimme ja nicht schlecht, nur Trockenheit ist schädlich. Von Kälte wird man nicht krank, sondern von Infektionen, und wir werden im Winter häufiger krank, weil wir uns öfter gemeinsam in geschlossenen Räumen aufhalten. Schlittenfahren in Elmau, Winterausflüge nach Garmisch, Spaziergänge in den Bergen, das ist kein Problem. Skifahren muss ich noch lernen, aber ich habe eigentlich schon jetzt zu viele Hobbies.
Don José, der pflichttreue Soldat, wird in der Oper „Carmen“ Opfer seiner eigenen Leidenschaften und ermordet am Ende seine Geliebte Carmen. Die Figur des tapferen, liebenden Soldaten könnte auch aus einer Operette kommen. Wie schaffen Sie es, Ihr Tiefe zu geben?
Ich finde ihn schon mal überhaupt nicht operettenhaft. Das ist eine realistische Geschichte: Da ist ein gut aussehender junger Mann, leidenschaftlich, mit kurzer Lunte. Der trifft auf eine außerordentliche Frau, und es ist diese Carmen, die eigentlich die Böse ist, nicht Don José. Er ist zwar am Ende der Gewalttäter, aber er ist auf viele Arten das Opfer – von Carmen.
Carmen ist selbst schuld, dass sie ermordet wird? Das müssen Sie erklären.
Damit das klar ist: Gewalt ist furchtbar und nie eine Lösung. Gewalt ist immer ein Zeichen von Schwäche. Carmen ist eine erstaunliche Frau, aber sie ist auch schrecklich, sie hat zwei Gesichter. Carmen hat psychische Probleme, das hört man zum Beispiel im dritten Akt, wenn sie von sich selbst in der dritten Person spricht. Sie ist eine lupenreine Narzisstin und hinterlässt eine Spur von Männern, die sie ausgesondert hat. Don José ist einer, dem nicht klar ist, dass er zwar seinen Spaß mit dieser tollen Frau hatte, aber es Zeit für ihn ist, zu gehen. Weil er den Punkt verpasst, riskiert und verliert er alles: Er wird zum Deserteur, ruiniert seine Beziehung zu Micaëla und hört nicht mehr auf seine Mutter. Am Ende tötet er Carmen, weil er sagt: Du hast mich fertiggemacht, aber jetzt mache ich dich fertig. Das ist eine Tat aus dem Affekt. So etwas passiert auch im echten Leben, daher finde ich die Geschichte und die Figuren durchaus realistisch.
Carmen scheint ihnen wenig sympathisch zu sein.
Sie ist kein guter Mensch. Mir fällt nicht ein Gutes oder Nettes ein, das im Verlauf der gesamten Oper von ihr kommt. Sie verursacht nur Leid, Leid, Leid. Okay, sie ist eine Rebellin, sie ist Feministin, sie will, dass Frauen die Kontrolle haben. An der Macht zu sein sollte aber nicht genutzt werden, um Menschen zu verletzen, was sie ständig tut.
Ist Ihr Don José einer, der sich in der Leidenschaft quält oder einer, der brennt?
Er ist beides, aber er ist vor allem schwach. Er ist ein Mama-Söhnchen vom Dorf, das sich beweisen will, aber er ist dabei unsicher. Es würde mich nicht wundern, wenn herauskäme, dass sein Vater abwesend war; der Vater wird in der Oper ja nie erwähnt. Vermutlich wegen der fehlenden männlichen Vorbildfigur weiß er in manchen Situationen nicht, wie er sich verhalten soll. Don José ist ein Mann mit den besten Absichten, aber leider geht für ihn alles schief.
Würden Sie mit Don José auf ein Bier oder einen Wein gehen?
Warum nicht? Mit dem Don José vom Anfang der Oper wäre das vermutlich etwas langweilig, nach dem Mord wäre es vermutlich interessanter. Okay, das war jetzt ein Witz, aber ernsthaft: Ich würde auch mit Carmen auf ein Bier gehen. Aber wenn sie mir dann sagte: „Ich liebe dich“, würde ich ihr nicht glauben. Carmen ist in Ordnung, solange man die richtige Einstellung behält. Wenn die wilde Fahrt mit ihr vorbei ist, muss man aussteigen und weiterziehen.
Calleja singt am 25. und 28. Februar sowie am 3. März im Nationaltheater, ausverkauft