Jonathan Tetelman singt Puccini

Der amerikanische Tenor auf seiner CD "The Great Puccini" und als Einspringer im Nationaltheater
von  Robert Braunmüller
Die Plattenfirma inszeniert Jonathan Tetelman als Lebenskünstler mit italienischem Flair.
Die Plattenfirma inszeniert Jonathan Tetelman als Lebenskünstler mit italienischem Flair. © Ben Wolf/Deutsche Grammophon

Von den "Drei Tenören" der Achtziger und Neunziger ist nur noch Plácido Domingo aktiv - als Bariton. Die nachfolgende Generation der auch außerhalb der Opernhäuser bekannten Stars zieht sich mittlerweile zurück: Rolando Villazón inszeniert und leitet die Mozartwoche, Jonas Kaufmann übernimmt demnächst die Tiroler Festspiele in Erl. Piotr Beczala verschmähte den Glamour und sang nie nur italienische Oper. Bleibt Joseph Calleja: Und der sagt ziemlich oft ab -wie nun den Rodolfo in der vorweihnachtlichen Serie von Giacomo Puccinis "La Bohème" im Nationaltheater.

Zufällig war der in Chile geborene Amerikaner Jonathan Tetelman frei. Er gilt - neben Freddie Di Tommaso - als Nachwuchs-Kandidat für die Spitzenklasse. Mit Blick auf das Gedenkjahr zum 100. Todestag hat der 35-Jährige die passende Platte aufgenommen: das Album "The Great Puccini", dessen Titel ziemlich selbstbewusst auf Mario Lanzas Evergreen "The Great Caruso" anspielt. Und schöne Fotos mit italienischem Flair gibt's natürlich auch.

Imponieren, nicht rühren

Tetelmans Stimme ist hell und metallisch. Sie entspricht - grob gesprochen - dem Pavarotti-Typus. Der erreicht nicht ganz so leicht das Herz des Hörers wie das natürlichere Timbre baritonaler Tenöre vom Typ Plácido Domingo oder Jonas Kaufmann. Und man kann durchaus finden, dass sich diese Farbe mehr für die eher kalt-virtuose Musik von Donizetti eignet und weniger für Giacomo Puccinis Schmelz.

Für die Musik des romantischen Belcanto braucht es aber ein bestimmtes Stilgefühl. Dieses Repertoire, das Juan Diego Florez in der Nachfolge des von Kennern geschätzten Alfredo Kraus kultiviert, ist nicht so massen- und kassenträchtig wie die Spätphase der italienischen Oper mit stadiontauglichen Hymnen wie "Nessun dorma".

Singen für die Galerie

Diese Arie aus "Turandot" ist natürlich auf "The Great Puccini" zu hören, zusammen mit Kraftmeierischem aus "Il tabarro" und "La fanciulla del West", das üblicherweise von eher heldischen "Otello"-Stimmen gesungen wird. Tetelman kann das auch vor seiner stimmlichen Reifephase riskieren, denn sein Tenor ist laut und durchdringend, was er auch im Nationaltheater recht effektvoll vorzuführen verstand. Böse Zungen würden auch vom "Singen für die Galerie" sprechen, was aber eine Beleidigung des dort verkehrenden, kenntnisreichen Stammpublikums wäre.

Der Amerikaner legte bei "Nei cieli bigi" los, als sei er ein Volkstribun und kein Dichter. Auch beim "eiskalten Händchen" und den Ariosi im dritten Akt führte Tetelman seine leichtgängige Höhe effektvoll vor. Was er - vorerst? - nicht beherrscht, ist die Gestaltung großer Bögen. Daher enttäuschte auch die Arie "Che gelida manina" auf hohem Niveau: Tetelman wurde langsamer und noch langsamer, was aus der Liebeserklärung an Mimí einen eher selbstgefälligen Egotrip macht. Und die pure Vorführung von Stimme rührt nicht, sie imponiert nur.

Als Interpret wirkt Tetelmann noch ohne Feinschliff. Leider wirkt seine Stimme in der Fernwirkung eines Theaters auch farbenärmer wie unter dem Mikroskop der Platte. Insider versichern, eine beginnende Erkältung habe sich auf seine Mittellage geschlagen. Aber es ist nun einmal so: den bläserhaft-hellen, an eine Oboe oder Trompete erinnernden Klang wird nicht jeder mögen.

Ordentliche Partner

Die Partner des Sängers waren in dieser Repertoirevorstellung der "Bohème" solide: Der ebenfalls eingesprungene Davide Luciano musste sich als Marcello erst ein wenig freisingen und behauptete sich mit einer kraftvoll-schönen Bariton-Stimme neben dem Tenor. Mirjam Mesak sang den Walzer der Musetta hinreißend, Nicole Cars eher dunkler Sopran ist schön, aber nicht unbedingt geeignet, um eine fragile, von einer Krankheit gezeichnete Figur wie die Mimi darzustellen. Bezeichnenderweise spielte sie die Rolle auch über die Maßen gesund.

Zähfließend wie Honig

Der Dirigent Andrea Battistoni wird im kommenden Frühsommer die Neuproduktion von Puccinis "Tosca" musikalisch leiten - mit dem ebenfalls sehr interessanten Tenor Charles Castronovo als Cavaradossi. In der "Bohème" neigte Battistoni dazu, Schlüsselstellen vom Staatsorchester dröhnen zu lassen. Und manchmal, etwa in der Arie "Che gelida manina", hätte es nicht geschadet, wenn der den Willen des Tenors zur Verlangsamung sanft gebremst hätte. Giacomo Puccini hat Theatermusik komponiert. Und die sollte zielorientiert dramatisch fließen und nicht zäh wie Honig kaum vom Fleck kommen.

Jonathan Tetelman singt noch einmal am 14. Dezember den Rudolfo, am 7., 11. und 16. Dezember springt Giovanni Sala für Joseph Calleja ein. Die CD "The Great Puccini" erschien Ende September bei der Deutschen Grammophon

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