Johan Simons über die Kammerspiele als Gemälde
Heute Premiere in der Spielhalle: Johan Simons inszeniert Heinar Kipphardts „März“ über einen schizophrenen Dichter in der Psychiatrie
AZ: Herr Simons, nach Sarah Kane nun Heinar Kipphardts „März“ – woher kommt Ihr Interesse an der Psychiatrie?
JOHAN SIMONS: Mein Interesse fängt eigentlich mit der Hasenscharte von März an. Was eine persönliche Geschichte ist: Mein Vater hatte eine Hasenscharte. Das Buch von Kipphardt kenne ich dabei schon lange, ich habe vor vielen Jahren schon eine Theaterarbeit daraus gemacht.
Hatte diese Hasenscharte ähnliche psychische Einflüsse auf Ihren Vater wie auf März?
Das ist zu vergleichen. Obwohl mein Vater normal am Leben teilnahm, war er psychisch sehr belastet damit. Es geht um den Sound, man hört die Hasenscharte. Ich komme aus einem Dorf, wo man zwar kein Thema daraus machte, mein Vater war von jedermann akzeptiert, aber man hat sich auch einen Spaß mit der Hasenscharte gemacht. Zudem hatte mein Vater auch diese unendliche Poesie.
Bei Ihnen wurde die Vielzahl der Figuren der Vorlage eingedampft auf drei Personen.
Wir haben den Kern herausgearbeitet: Man sieht den Poeten im Verhältnis zu einer Frau, Hanna. Erst zeigt sich die Möglichkeit der Liebe, dann die Unmöglichkeit der Liebe. Was mich sehr traurig macht. Und, egal, was die Zeitungen schreiben werden, es ist für mich eine der schönsten Arbeiten, die ich je gemacht habe.
Gibt einem die Psychologie wenigstens Halt?
Nein, man kann sich an nichts festhalten. Es gibt den Versuch, Fäden zu finden, der Psychiater versucht, alles zu erklären, aber diese Fäden werden nur noch mehr auseinander gezogen. Am Ende denkt man, schade, diese Menschen passen nicht in die Gesellschaft. Oder man denkt, schade, dass wir nicht eine Gesellschaft haben, die diese Menschen aufnimmt. Sie müssen in eine psychiatrische Klinik, weil wir nicht fähig sind, ihnen zu helfen, sie zu schützen.
Weil wir in einer Leistungsgesellschaft leben, in München?
Ach, das ist überall so. Ich beschäftige mich zu Beginn meiner Intendanz bei der Ruhrtriennale mit Passolinis „Accattone". In einigen seiner Filme ist der Arbeitslose der Ranghöchste. Mit solchen Themen möchte ich mich bei der Ruhrtriennale auseinandersetzen.
Zuvor werden Sie zum Beispiel Jelineks Faust-Variante fürs Resi inszenieren.
Ja, ich habe auch schon mit den Schauspielern geprobt.
Das heißt, Sie jonglieren mit mehreren Inszenierungen?
Ich sehe das so: Ich bin wie ein bildender Künstler oder Maler. Ich komme in mein Atelier, dort sehe ich vier, fünf Gemälde. Ich arbeite am meisten an einem Gemälde, aber ich füge den anderen auch immer wieder etwas hinzu. Wenn ich an einem Gemälde arbeite, bis es fertig ist, und dann erst am nächsten, verliere ich meinen Schwung. Wenn man alle Gemälde um sich hat, kann man große Linien ziehen.
Und bis 2015 vollenden Sie das Gemälde Kammerspiele?
Ja.
Sehen Sie dem Ende mit Melancholie entgegen?
Ja, sehr. Das macht mich auch sehr traurig. Ich verlasse München wirklich wegen meiner Familie, wegen meinem Haus, wegen meinen Kindern, die ich einfach zu wenig sehe. Aber die Kammerspiele – besser geht es nicht im Leben.
Haben Sie Kontakt mit Matthias Lilienthal, der ihre Arbeit wohl weiterführen soll?
Wir haben manchmal Kontakt. Die Absicht von Kulturreferent Küppers war ja, dass Matthias Lilienthal das weiterführt, was ich angefangen habe. Und ich glaube, dass Lilienthal das auch tun wird. Der Unterschied ist, dass ich ein Regie führender Intendant bin, er ein Managing Intendant. Das bedeutet nicht, dass ein Manager keine künstlerische Idee hat. Im Gegenteil.
Und er hat mehr Zeit zum Managen.
Er hat viel mehr Zeit. Ich bin jemand, der im Haus Stimmung machen kann, der Ideen hat und ein Teamspieler ist. Aber ich bin kein Manager. Ich bin, obwohl ich das vielleicht nicht sagen sollte, ein Chaot. Wofür ich mich nicht schäme.
Löst sich das Ensemble auf?
Das Team wird sich ändern. Es bleiben Schauspieler, auch zu Recht. Das wäre Blödsinn, die haben ein Standing hier, einen Draht zum Publikum. In Wien bewundert man die Schauspieler, in München liebt man sie.
Und Sie nehmen Schauspieler mit?
Ja. Benny Claessens sicherlich. Mit ihm bin ich auch hier her gekommen. Und es werden noch andere dazu kommen.
Nach drei Jahren bei der Ruhrtriennale kehren Sie als Intendant zum NT Gent zurück.
Ja, der Weg führt nach Gent, wobei ich dort bestimmt eine europäische Truppe etablieren werde. Ich werde aber den deutschen Raum als Regisseur nie verlassen.
Das heißt, Sie könnten noch ein paar Tupfer auf das Gemälde Kammerspiele malen.
Vielleicht.
Die Premiere ist ausverkauft.
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