Jetzt macht auch die Stadt ihre Bühnen dicht

Nun schließt auch die Stadt die Kammerspiele, das Deutsche Theater und lässt die Konzerte der Philharmoniker ausfallen. Die privaten Veranstalter fordern Hilfen von der Stadt
Robert Braunmüller, Volker Isfort |
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Der Gasteig ohne Zuschauer.
dpa Der Gasteig ohne Zuschauer.

Am Montag wurden nach einer Kabinettssitzung die Aufführungen aller staatlichen Theater in Bayern abgesagt – und zwar unabhängig von der Zahl der Plätze. Am Abend des Tages wurde noch gespielt, dann fiel der Vorhang bis zum Ende der Osterferien am 19. April. Einen Tag später zieht die Stadt nach. Der Oberbürgermeister Dieter Reiter hat gestern entschieden, alle öffentlichen Vorstellungen der städtischen Theater und der Münchner Philharmoniker entfallen zu lassen.

Das heißt: Das Münchner Volkstheater, das Deutsche Theater, die Kammerspiele und die Schauburg machen dicht. In der Pasinger Fabrik entfallen alle Eigenveranstaltungen bis auf die Ausstellungen. Bereits gekaufte Karten können zurückgegeben werden. Bei den Staatstheatern wird das Geld automatisch zurückgebucht, sofern bargeldlos bezahlt wurde. Münchenticket ist leider weniger kundenfreundlich: Hier muss man persönlich mit den Karten an der Vorverkaufsstelle erscheinen.

Widersprüche in der Grauzone

Am Montag wollte die Bayerische Staatsregierung noch Veranstaltungen mit weniger als 1000 Besuchern nicht zur Disposition stellen. Trotzdem entschlossen sich Staat und Stadt für eine komplette Schließung aller Theater und Konzertsäle, obwohl die größte Spielstätte der Kammerspiele nur 690 Zuschauer fasst.

Was ist mit den Veranstaltungen zwischen 500 und 1000 Besuchern, etwa den Aufführungen von Varietés und Privattheatern wie die Komödie im Bayerischen Hof, die nach gegenwärtigem Stand weiterspielt? Bleibt Kabarett und Kleinkunst erlaubt?

Das Literaturhaus am Salvatorplatz hat - auch nach Absagen einiger Autoren - schon die Konsequenzen gezogen. Zwar passen in den großen Saal „nur“ 360 Zuhörer, dennoch wird es dort vor dem 19. April keine Veranstaltung mehr geben.

Ansonsten erzeugt der Widerspruch eine Grauzone. Gestern wurde zwar der Beethoven-Zyklus der Wiener Philharmoniker im Gasteig mit seinen 2400 Plätzen abgesagt, das Quatuor Ebène spielte aber Beethoven vor unter 1000 Zuhörern im Herkulessaal. Das mag zwar auch damit zu tun haben, dass die Residenz im Unterschied zu den Staatstheatern nicht dem Kunst- sondern dem Finanzministerium untersteht, wirklich konsequent wirkt es nicht. Vielleicht hatte Kunstminister Bernd Sibler den Saal auch gar nicht auf dem Schirm.

Eine Ampel des Kulturreferats

Den ganzen Tag über waren die privaten Veranstalter genervt über die Unklarheit, was denn nun noch stattfinden könne und was nicht. Nun gibt es ein bisschen mehr Klarheit: Denn für Veranstaltungen mit weniger als 1000 Zuschauern gibt es eine Art Ampel, die vom Gesundheitsministerium nach Empfehlungen des Robert Koch Instituts entwickelt wird. Über 500 Zuschauer zeigt die Farbe rot, darunter orange und für Kleinstveranstaltungen gibt es auch grün, wobei auch abgefragt wird, wie alt und international gemischt das Publikum ist. Auch die Entfernung der Zuschauer voneinander soll berücksichtigt werden.

„Wir müssen aber auch klar feststellen, dass sich die Veranstalter in der Verantwortung stehen“, sagt Jennifer Becker vom Münchner Kulturreferat. Ihrem Referat ist klar, dass die einschneidenden Maßnahmen verheerende Folgen für freie Künstler, Techniker und Veranstalter haben können. Die Stadt werde daher einen Kulturponds auflegen, um zumindest einen Teil der Härten abfedern zu können. Klar ist aber auch: Im Vordergrund aller Maßnahmen steht der Schutz von Leben nicht der Schutz des Freizeitverhaltens.

Auch der Bayerische Rundfunk sagt alle Konzerte ab

Der Verband der Münchner Kulturveranstalter verlangt eine Klarstellung zur Grauzone der Veranstaltungen unter 1000 und unter 500 Personen. „Wenn diese Krise mit den Einschränkungen des Kulturlebens länger andauern sollte, fürchten alle Veranstalter um ihre Existenz, was einen massiven Kahlschlag für das Münchner Kulturleben in der Zukunft bedeuten würde“, heißt es in einem Brief an Dieter Reiter.

Gestern abend wurde bekannt, dass der Chor, das Symphonieorchester und das Münchner Rundfunksorchester bis 19. April alle Konzerte absagen. Als Vorsichtsmaßnahme verzichten die Musiker auch auf Proben und die Übertragung von Livestreams ins Internet: Das Risiko durch einen angesteckten Musiker sei zu groß, hieß es. Daher wolle man alle unnötigen Zusammenkünfte vermeiden.

Die Museen der Stadt bleiben bislang geöffnet, ebenso die Bibliotheken. Aber blickt man ein wenig über die südlichen Landesgrenzen hinaus, muss man ein wahnsinniger Optimist sein, um zu glauben, dass sich nach dem 19. April das Münchner Kulturleben wieder schnell normalisieren wird.


Und wer denkt an die Künstler?

Natürlich kann der Staat locker seine Theater schließen und Veranstaltungen absagen. Fest engagierte Künstler wie die Musiker der großen Orchester und die angestellten Ensemblemitglieder werden das Virus relativ folgenlos wegstecken können. Aber allen Selbstständigen droht ein erheblicher, womöglich existentieller Schaden, wenn ihre Einnahmen plötzlich längerfristig wegbrechen.

Das betrifft nicht nur Opernsänger, freie Musiker, Tänzer und Kabarettisten, sondern auch den ganzen technischen Apparat: Für Licht, Ton und Bühne sorgen bei Konzerten und vielen Aufführungen ebenfalls in der Regel Freiberufler. Auch bei allen privaten Konzertveranstaltern kann ein längeres Aus rasch an die Existenz gehen, denn nur die wenigsten Ausfälle wegen höherer Gewalt sind versichert.

Der Deutsche Kulturrat und andere Verbände fordert bereits einen Notfallfonds, um soziale Härten abzufedern. Das das ist richtig. Denn für marode Fluglinien, abgewirtschaftete Banken und die Autoindustrie hat die Politik auch sehr schnell sehr viel Geld locker gemacht. Auch die Stadt München will nun mit einem schnell eingerichteten Kulturfonds handeln. Es bleibt zu hoffen, dass es sich dabei nicht nur um ein paar Almosen für arme Poeten handeln wird.
 

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