Jessica Weisskirchen über "Maria Magda" im Volkstheater
Ein Mädcheninternat, in dem es nicht mit rechten Dingen zugeht: Eine Schülerin ist verschwunden, die übrigen werden von einem kleinen Jungen und Gott persönlich heimgesucht. Über allem wacht eine Oberschwester, die mehr verschleiert als aufklärt. Svenja Viola Bungartens "Maria Magda" ist eine ziemlich schonungslose Abrechnung mit dem patriarchalen Machtanspruch, der sich im Christentum manifestiert. Jessica Weisskirchen inszeniert das Stück jetzt am Volkstheater.

AZ: Frau Weisskirchen, wie sind Sie auf dieses Stück gekommen?
JESSICA WEISSKIRCHEN: Ich habe mit dem Dramaturgen Bastian Boss erstmal ganz viel darüber gesprochen, was mich interessiert und womit ich mich künstlerisch auseinandersetzen möchte. Für mich war schnell klar, dass ich weibliche Dynamik in einem religiösen Kontext untersuchen wollte. Er hat mir dann "Maria Magda" von Svenja Viola Bungarten vorgeschlagen.
Woher kommt Ihr Interesse an religiösen Themen?
Ich finde es spannend, wenn ein Individuum oder eine Gruppe von Menschen einer übergeordneten Systematik gegenübersteht und sich an ihr reibt. Außerdem ist die biblische Geschichte einfach eine richtig gute Story. Und es ist schon einigermaßen absurd, dass diese Geschichten zumindest in meiner Kindheit nie in Frage gestellt wurden. Da wimmelt es nur so von fantastischen Begebenheiten, die real gar nicht möglich sind: angefangen bei Adam und Eva, die im Paradies hocken, bis zur unbefleckten Empfängnis, um die es im Stück geht.
Das ist sehr deutlich eine von Männern erschaffene Erzählung.
Ja. Wenn man das Mythische mal wegnimmt, geht es hier im Grunde um eine Vergewaltigung: Der heilige Geist "fährt in sie", während sie schläft. Am nächsten Tag ist diese Frau schwanger, ohne zu wissen, wie das zustande kam. Das impliziert, dass im Grunde der gesamte christliche Glaube auf einer Vergewaltigung beruht. Ich finde es spannend zu fragen, welche Stimmen nicht gehört werden. Und das sind eben hauptsächlich die weiblichen. Diese Blind Spots in unserer Historie befragt das Stück.
Die Autorin bettet diese Befragung in eine Situation ein, die vor allem in der Jugendliteratur äußerst beliebt ist: ein Mädchen-Internat.
Dort treffen drei junge Frauen im Teenager-Alter aufeinander. Maria kommt neu in die abgeschlossene Systematik dieser Klosterschule und begegnet dort Magda und Hildie, die mit ihr auf die Suche nach ihrer verschollenen Freundin Mirjam gehen wollen. Die Neue wird mitten reingeworfen in die Aufdeckung eines Geheimnisses. Durch die Oberschwester kommt noch ein Generationenkonflikt dazu, fast so etwas wie ein transgenerationales Trauma von Emanzipation und Weiblichkeit.

Das Ganze wird mit allerlei mystischen Elementen aufgeladen, Realität und Traumsequenzen verwischen zunehmend.
Im Kloster spukt zum Beispiel ein kleiner Junge herum, der mit Gott den Pakt geschlossen hat, dass er ihm Jungfrauen zur Befruchtung zuführt und als Belohnung Hexen verbrennen darf. Der hat ein bisschen was von Jesus, ein bisschen was von dem mittelalterlichen Hexenjäger Heinrich Kramer. Die Oberschwester wiederum hat Gott gegenüber Daddy Issues, also eine komplizierte Vaterbeziehung: Auf der einen Seite bereitet sie ihre weiblichen Kolleginnen für die unbefleckte Empfängnis vor und ist dem alten System emotional durch ihre Sozialisierung verbunden, auf der anderen Seite müsste sie als erfahrene Frau diese jungen Girls eigentlich beschützen und retten. So entsteht eine sehr perfide Geschichte, das Trauma der Unterdrückung der Frauen wird eingewoben in eine Horrorgeschichte im Klosterinternat.

Teilweise stellt sich beim Lesen der Eindruck ein, die Klosterbewohnerinnen seien so etwas wie Schläferinnen für eine feministische Rück-Ermächtigung, fast eine Art weibliche Terrorzelle.
Das ist doppelbödig: Gott kann die Frauen nur vergewaltigen, wenn sie schlafen und sich nicht an ihre Träume erinnern. Nur solche Frauen sind die Auserwählten. Natürlich ist die Schläferin Marie aber auch die, die sich von Gott emanzipiert. Es geht viel um eine Unterwanderung des Systems und Tarnmechanismen. Durch die von außen hinzugekommene Maria können wir diese Welt entschlüsseln und letztendlich besiegen, um eine andere Weltvorstellung freizusetzen.

Die Autorin zeichnet aber kein Schwarz-Weiß-Bild, in dem ein schlechtes System durch ein gutes ersetzt wird. Da ist nichts und niemand heilig, auch nicht die Utopie einer feministischen Herrschaft.
Das liebe ich auch sehr an dem Text: Er stellt das Matriarchat genauso in Frage wie das Patriarchat. Am Ende steigt er sogar auf eine Art posthumanistische Ebene und stellt die Frage, ob es eine nicht-herrschaftliche Systematik überhaupt geben kann, wenn Individuen zusammen leben.

Sie arbeiten unter anderem mit Choreografie. Was für eine Atmosphäre schwebt Ihnen für den Abend vor?
Wir sind ein Dreierteam in der Regie, ich arbeite mit dem Choreografen Michael Bronczkowski und der Bühnen- und Kostümbildnerin Wanda Traub zusammen. Uns ist es wichtig, dass Bild- und Körpersprache auf einer Ebene mit dem Text stehen, damit man neben dem Inhaltlichen auch eine sinnliche Erfahrung hat. Wir haben diese Mädchen, die in ihren leicht kitschigen weißen Nachthemden wie Gespenster durch den Raum schwirren. Die Oberschwester fährt in einem Nonnenkostüm auf einem Dreirad herum, inspiriert von Stanley Kubricks Film "Shining". Am Ende, soviel kann ich schon verraten, tauchen in den großen Bogenfenstern des Klosters die Ikonen der Zukunft auf.
Volkstheater, Bühne 2, Premiere am 2. März, 20 Uhr, wieder am 6., 9., 10. und 31. März
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