"Jedes Großprojekt verschlingt eine Immobilie": Ralph Siegel über sein Musical "Ein bisschen Frieden"

Es ist eine deutsch-deutsche Liebes- und Musikgeschichte, die im "Summer of Love" beginnt, von der Mauer getrennt ist und bis ins Heute und nach Brighton führt. "Ich habe einen Fundus von 1000 Songs", sagt Ralph Siegel, hat aber gleich noch ein Dutzend neue Songs für "Ein bisschen Frieden" geschrieben. Und es ist ein Zufall, dass das Musical jetzt am Friedenstag, dem 8. Mai, in München startet.

AZ: Herr Siegel, was macht Ihr Musical "Ein bisschen Frieden" besonders?
RALPH SIEGEL: Ich schöpfe aus einem Fundus von 60 Jahren! Wenn heute jemand ein Musical komponiert, das eine Handlung über 40 Jahre hat, muss er sozusagen "retro" komponieren - also die verschiedenen Musikstile der zurückliegenden Jahrzehnte imitieren. Ich aber kann auf alles zurückgreifen, was ich seit den 60er-Jahren selbst geschrieben habe: Country, weil ich mit 19 Jahren in Nashville wohnte, Rocksongs von den Stones beeinflusst, dann Protestsongs, wie ich sie als junger Mann geschrieben habe, später dann Schlager und Pop. Alles passt in die Zeit der Handlung. Das macht die Sache amüsant und authentisch.
Aber Sie haben ja auch Neues komponiert.
Absolut, denn man kann ja alte Songs nicht immer in eine Handlung reinpressen, dass es passt. So eine Holzhammermethode würde man merken, das wäre hässlich. Aber grundsätzlich gilt: Wenn die Handlung im "Summer of Love" ist, habe ich dazu eigene Songs aus dieser Zeit, genauso wenn es in die 80er geht oder bis in dieses Jahrtausend.
Ist es nicht schwer, eine Handlung über so weite Strecken zusammenzuhalten?
Man braucht Angelpunkte: Zwei Menschen verlieben sich 1967, sind durch die Mauer getrennt, verlieren sich aus den Augen. Er versucht, die Gesellschaft durch Musik zu verändern. Die Stasi macht ihn fertig. Ein Angelpunkt ist im Musical seine Flucht aus der DDR über die Ostsee. Dann er erfährt er, dass seine Liebe einen anderen hat, schließlich kommt er nach England und wird dort ein einigermaßen bekannter Provinzrockmusiker in Brighton. Sie hat inzwischen Enkelkinder und ist Witwe. Und der zweite Angelpunkt ist jetzt ihre Enkelin, die die Lebenswege auf einer Englandreise wieder zusammenführen will. Die Geschichte ist nahe an dem, was viele erlebt haben und jetzt fragt die junge Generation: Wie war das denn? Und solche deutsch-deutschen Musikerschicksale - zwischen Anpassung, Stasi-Druck, Widerstand und Flucht - hat es ja auch einige gegeben. Da passt dann auch mein Song zusammen mit Michael Kunze geschrieben von 1990: "Frei zu leben".

Warum heißt das Musical aber "Ein bisschen Frieden"?
Ganz ehrlich: Weil ich mir gedacht hatte: Das ist mein bekanntester Song. Das zieht die Leute ins Theater.
Der Hit von 1982 kommt also vor.
Ja, auch. Aber nicht im Zentrum. Es ist ja kein Musical über Nicole, wie viele denken. Aber natürlich war "Ein bisschen Frieden" auch der Zeitgeist des Kalten Krieges, der das Liebespaar im Musical trennt.
Woher kommt dann der Untertitel "Summer of Love"?
Das war dann die Idee, klar zu machen, dass es um eine Liebesgeschichte geht, die im freien Hippiezeitgeist 1967 - im "Summer of Love" - beginnt.
Ist es logisch, Musicals zu schreiben, wenn man Pop und Schlager komponiert, textet und produziert?
Ja und nein: Ein Song muss über drei, vier, fünf Minuten tragen, ein Musical über zwei Stunden. Und man darf nicht zu primitiv Songs platzieren, so nach dem Motto: Jemand sagt, ich mag nicht mehr - und dann kommt mein Song "Feierabend" von Peter Alexander. Das ist läppisch. Wenn jetzt aber "Lass die Sonne in dein Herz" - mein Song von 1987 mit Bernd Meinunger - im Musical vorkommt, dann, weil er die 80er spiegelt. Und Michael Kunze entdeckt zu haben, ist mein großer Beitrag zur deutschen Popmusik. Ich habe auch schon seit Anfang der 80er Musical gemacht - zum Beispiel "Winnetou" für Pierre Brice, aber das war sehr instrumental. Dann mein Mammut-Projekt "Clowntown" mit Michael Kunze, das ich jahrelang versucht habe, in Amerika zu platzieren. Ich habe sechs unfassbar aufwändige Readings in New York und Los Angeles veranstaltet mit jeweils dreißig Akteuren, neun Versionen abgeliefert - und wurde brutal hingehalten. Davon habe ich mich lange nicht erholt. Dann kam 2006 "Lachen! Die Zeit der Clowns" von Christian Berg, wo ich die Musik beigesteuert habe - innerhalb von drei Monaten, weil der Konstantin Wecker ausgefallen war. 2017 kam dann "Johnny Blue", eine Faustpakt-Geschichte mit einem blinden Musiker, was dann in Brünn inszeniert wurde. Dann kam "Zeppelin", was die Pandemie dreimal vor Premieren oder nach ganz kurzem Start gestoppt hatte. Aber im Herbst 2021 war eine Sternstunde: die Premiere von meinem "Zeppelin".

Aber sie haben weitergemacht.
Weil dieses Musical erst die erste Hälfte meines heutigen Lebenstraums war. Aber ich hatte in Füssen im Festspielhaus "Zeppelin" so groß auf der Riesenbühne mit Wasserbecken gestellt, dass es jetzt in kein anderes Theater mehr reinpasst.
Und jetzt kommt "Ein bisschen Frieden".
Die zweite Hälfte meines derzeitigen Lebenstraums. Denn wenn man ein Erfolgserlebnis hatte und ganz bei sich ist, will man weitermachen. Wenn das jetzt klappt, bin ich wieder mit allem versöhnt und finde Frieden!
Aber das ist ja nicht das letzte Werk, das Sie planen.
Nein, solange der Herrgott mich weitermachen lässt! Aber es ist auch finanziell riskant, so viel Geld in Produktionen zu stecken. Jedes der letzten Großprojekte hat eine Immobilie verschlungen. Da danke ich meiner Frau, dass die nicht durchdreht, sondern mich wirklich machen und träumen lässt. Das ist wirklich Liebe.
Und was ist jetzt?
Ich habe jetzt so viel geackert, dass das hier ein Erfolg wird. Wir haben auch hervorragend besetzt mit Heinz Hoenig, Tim Wilhelm von der Münchner Freiheit oder Simone Ballack. Es sind so viele Songs drin, die den Leuten gefallen werden. Ich fahre jetzt in die USA, nach Florida, wenn sie mich reinlassen.
Wieso?
Ich bin seit über 50 Jahren immer mehrmals im Jahr dort und habe sogar ein Haus im Hinterland von Miami. Aber am Gründonnerstag galt mein Visum angeblich nicht mehr, sodass wir am Flughafen in München umdrehen mussten.
Und wenn es klappt, wann kommen Sie wieder?
Kurz vor der Premiere und hoffentlich gesünder.
Wieso?
Ich habe gerade im Krankenhaus sieben Kilo zugenommen. Das muss man erst einmal schaffen. Aber man liegt da im Krankenhaus mit einer Horror-OP wegen Spinalkanalverengung und dann in der Reha insgesamt acht Wochen herum. Ich habe das Gehen mit 78 Jahren neu lernen müssen, weil man zusammenklappt. Aber ich war so froh, dass ich erneut dem Tod von der Schippe gesprungen bin, dass ich es absurderweise auch geschafft habe, richtig zuzunehmen. Das muss jetzt wieder runter.
Deutsches Theater,
Mittwoch, 8. Mai bis
Pfingstsonntag, 19. Mai,
www.deutsches-theater.de,
Karten bei Münchenticket, 21 - 94 Euro