"Jedermann": In die Moderne gefallen

Offiziell sollten die Festspiele 2021 einfach nur die Fortsetzung aus dem pandemiebedingt ausgedünnten Sommer des Vorjahres sein.
Das betraf auch den "Jedermann", das Markenzeichen des Festivals auf den Stufen des Doms. Doch dann tüftelte Regisseur Michael Sturminger aus seiner Produktion von 2017 eine veritable Neuinszenierung.
Nicht nur wird eine Textfassung gespielt, die wieder dichter an Hugo von Hofmannsthal anschließt, sondern mit Umbesetzungen innerhalb des Ensembles und vor allem mit den Neubesetzungen der beiden Hauptrollen verschieben sich manche Akzente.
Das Große Festspielhaus ist kein guter Ersatz
Wie schon vor vier Jahren musste die Premiere wieder wegen des heftigen Regens in das Große Festspielhaus umziehen.
Die Wirkung der sakralen Monumentalität des Domplatzes, die das "Spiel vom Sterben eines reichen Mannes" von selbst mit der notwendigen Spiritualität auflädt, lässt sich drinnen nicht herstellen.
Der deutsche Besucher, der sich an halb leer geräumte Theater mit Beinfreiheit im Business-Class-Format fast schon gewöhnt hat, staunt zudem über die Entspanntheit der Festivalleitung bei der Seuchenprävention.
Nicht nur bleibt es den Zuschauern überlassen, einen Mundschutz zu tragen oder es sein zu lassen, auch die 2.177 Plätze werden vollständig besetzt.
Abstandsregeln zwischen Jedermann und dem Tod
Auf der überbreiten Bühne erinnert nur die Verhandlung zwischen Jedermann und dem Tod an die Abstandsregeln. Sie sitzen sich weit entfernt an den äußeren Ende der langen Tafel, an der zuvor Jedermanns Entourage ihre Party gefeiert hatte.
Erst, wenn der gottlose reiche Mann seinen Frieden mit dem Himmel gemacht hat, finden er und der Tod körperlich zusammen und bilden das finale Bild als Pietà.
Damit erinnert Sturminger daran, dass Edith Clever, die nun den Tod spielt, mit ebensolcher Grandezza zuvor Jedermanns Mutter gespielt hatte.
Diesen Part übernahm Angela Winkler, die Mutters naiver Frömmigkeit eine sanft entschlossene Glaubensfestigkeit hinzu fügt.
Mavie Hörbiger, die in der früheren Inszenierung der in einem Krankenbett siechenden Guten Werke eine ebenso verstörende wie faszinierende morbide Erotik gegeben hatte, erhielt als gut gelaunter, fast koboldhafter Teufel als einzige der Allegorien Szenenapplaus.
Neue Vielschichtigkeit der Figuren
Auch die Guten Werke haben sich stark verändert und treten nun tatsächlich im Plural auf. Das Ensemble bildet eine gespenstische Gruppe von dem, was von Jedermanns wenigen guten Taten noch erkennbar ist.
Dabei ist der Superreiche, wenn Lars Eidinger ihn spielt, kein so übler Kerl. Wenn er Bittsteller abbügelt, ist er kein Ekel und wenn er zu exklusiven Festgelagen einlädt, scheint er erstaunlich geerdet zu sein - er nimmt die Idee von "jedem Mann" sehr ernst.
Das kostet das Spektakel des Exklusiven und des Exzessiven, schafft aber eine Vielschichtigkeit, die die Figur nicht von sich aus hat.
Alternberg ist anders als ihre Vorgängerinnen
Das gilt auch für die Buhlschaft: Verena Altenberger ist anders als ihre Vorgängerinnen. Das beginnt bei der Kurzhaarfrisur, die schon im Vorfeld zu Debatten geführt hatte, und endet nicht beim libidoroten Hosenanzug.
Im Rahmen der Möglichkeiten, die ihr Hofmannsthal gelassen hat, ist sie eine selbstbestimmte junge Frau mit einer Frisur, die sich von 100-jährigen Klischees der Weiblichkeit verabschiedet.
In solchen Fragen hat sich die Inszenierung von Michael Sturminger spürbar weiter entwickelt wie auch in der Reduzierung der Ausstattung (Renate Martin und Andreas Donhauser), die damit mehr ist, sowie in der atmosphärereichen Musik von Wolfgang Mitterer (Komposition) und Jaime Wolfson (Musikalische Leitung).
Standing Ovations und zarte Buhs
An Holprigkeiten wie der hübsch slapstickhafte, aber mühsam hineinkonstruierte Boxkampf zwischen Jedermann und einem seiner Schuldner (Mirco Kreibich) oder der zähe Streit zwischen Jedermann und seinem guten Gesell (Anton Spieker) lässt sich in den nächsten Jahren noch feilen.
Aber schon beim Premierenpublikum überwogen die Standing Ovations, begleitet von ganz zarten Buhs.
Domplatz, bei schlechtem Wetter im Großen Festspielhaus, 24., 30. Juli, 8., 14. 8., 21 Uhr, 25., 28. Juli, 1., 2., 23., 26. 8., 17 Uhr, Karten/ Infos: www.salzburgfestival.at