Interview mit Kilian Engels zum Festival Radial jung

Das Münchner Volkstheater zeigt bis zum 13. April beim Festival „Radikal jung“ zwölf Arbeiten junger Regisseure aus Europa und darüber hinaus, die von einer dreiköpfigen Jury ausgewählt wurden
von  Michael Stadler

Das Münchner Volkstheater zeigt bis zum 13. April beim Festival „Radikal jung“ zwölf Arbeiten junger Regisseure aus Europa und darüber hinaus, die von einer dreiköpfigen Jury ausgewählt wurden

Es wird leidenschaftlich geknutscht auf dem diesjährigen Plakat von Radikal jung. Von der Muse geküsst sind, man vermutet es stark, die jungen Regisseure, die zur zehnten Ausgabe des Festivals im Volkstheater eingeladen sind. Die bewährte Jury um Festival-Leiter Kilian Engels, Publizist C. Bernd Sucher und Schauspielerin Annette Paulmann hat dabei Projekte ausgesucht, bei der das Publikum am eigenen Leib erfahren wird, was Theater sein kann. Elf Produktionen aus zehn Städten aus sieben Ländern sind bis zum 13. April zu sehen, dazu die brandneue Performance „Austrian Psycho“ aus Wien.

AZ: Herr Engels, wie viele Klassiker gibt es heuer bei Radikal jung zu sehen?

KILIAN ENGELS: Da muss ich scharf nachdenken... Keine!

Ist das Ausdruck der Vorlieben der Jury oder spiegelt das die Interessen der jungen Regisseure?

Wenn wir Klassiker-Inszenierungen gesehen hätten, die uns überzeugt hätten, hätten wir sie nach München geholt. Aber es gibt eine Tendenz zum Projekt. Das hat vermutlich damit zu tun, ob man das, was man über die heutige Welt sagen möchte, mit Klassikern transportieren kann. Wenn man sich wie Anat Eisenberg und Mirko Winkel in „Life and Strive“ mit Luxusimmobilien beschäftigen will, findet man dieses Thema eher nicht in einem Shakespeare-Stück, sondern nimmt das Schreiben selbst in die Hand.

Die Tendenz geht weiter in Richtung politisches Theater?

Absolut. Es fällt auf, dass alle Regisseure ein verstärktes politisches Interesse haben. Man muss dabei sehen, dass wir zehn Jahre lang eine Generation junger Regisseure begleitet haben, die oft stark am Geschichtenerzählen und der Interpretation von Klassikern interessiert waren. Die sind, wie zum Beispiel David Bösch, mittlerweile durchgesetzt. Jetzt haben wir einen Schritt zur nächsten jungen Generation gemacht, was auch längst fällig war.

Am Eröffnungswochenende sind gleich drei Inszenierungen mit israelischer Beteiligung zu sehen.

Ja, wobei „Life and Strive“ deutsch-israelisch ist und in der Türkei entstand. Eyal Weiser, im letzten Jahr mit „Mein Jerusalem“ dabei und derzeit für Proben an unserem Haus, ist mit „This is the land“ eingeladen: Es geht um ein Mini-Festival mit erfundenen Künstlern, das auf einem realen Festival basiert. Das israelische Kulturministerium hat 2011 einen Preis gestiftet, damit in den besetzten Gebieten Kunst gemacht wird. Eyal zeigt uns Leute, die das Preisgeld haben wollten, aber leer ausgingen. Die Inszenierung ist von einer Konsequenz, dass man sie zeigen muss.

Was die Herkunft der Regisseure angeht, liegt das Festival voll im Trend: Vor einiger Zeit gab es eine Debatte, dass der Blick weiter darauf liegt, ob Regisseure und Schauspieler „bio-deutsch“ sind. Man sollte vielleicht gar nicht mehr von Migrationshintergrund sprechen.

Genau. Unser Festival steht auch für die Abschaffung des „bio-deutschen“ Regisseurs, weil sich sowieso überall die Grenzen auflösen: Am Berliner Maxim Gorki-Theater hat Hakan Savas Mican, ein türkischstämmiger Regisseur, „Schwimmen lernen“ von Marianna Salzmann inszeniert, von einer russischstämmigen, deutsch-jüdischen Autorin also, mit russischstämmigen, deutschen Schauspielern. Und im Stück geht es um eine lesbische Liebe. Am Ballhaus Naunynstraße hat Michael Ronen ein Stück des in Tunesien geborenen, schwedischen Autors Jonas Hassen Khemiri inszeniert: „Ich rufe meine Brüder“ handelt von einem Moslem in Schweden nach dem Selbstmordanschlag in Stockholm 2010, der Hauptdarsteller ist schwarz. Gerade in Berlin wird etwas bewusst durcheinander gebracht, weil es politisch notwendig erscheint. Es ist wichtig, das hier auch zu zeigen.

Was kann man sich unter der Wiener Performance „Austrian Psycho“ vorstellen?

Sie steht in Zusammenhang mit der Intervention des Billeteurs Christian Diaz am 125. Jubiläumkongress des Wiener Burgtheaters. Er trat auf die Bühne, um in einer Protestrede das Publikum über die Zustände an der Burg aufzuklären. Es war nicht die eines Einzelnen, sondern des Künstlerkollektivs „Unkoordinierte Bewegung“. Die Gruppe wird über das Festival hinweg einige Interventionen veranstalten.

Wie viele unkoordinierte Bewegungen gab es denn in der Jury?

Keine. Es gab eine Inszenierung, über die wir uns uneinig waren und die wir letztlich nicht eingeladen haben. Aber auch das war eine harmonische Entscheidung.

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