"Insgeheim Lohengrin" von Alvis Hermanis im Cuvilliéstheater
Eine bildungsbürgerliche Altbauwohnung. Die Diele voller Bücher. Im Wohnzimmer mit Kochnische ein Plattenspieler mit Acryl-Rauchglas-Haube. Am Kühlschrank der aktuelle Spielplan der Münchner Kammerspiele, obwohl wir uns auf der anderen Straßenseite der Maximilianstraße befinden: im Cuvilliéstheater, dem kleinen Haus des Bayerischen Staatsschausspiels.
Zuerst kommt ein älterer Mann, dann weitere Personen reiferen Alters. Alle bringen Aufnahmen von Wagners „Lohengrin“ mit – selbstverständlich in Vinyl. Auch die seltsame Grußlosigkeit, mit der sich die Herrschaften versammeln, klärt sich bald: Man trifft sich öfter unter strikt konspirativen Bedingungen.
Otto (Paul Wolff-Plottegg) hat die Wohnung bei Airbnb gemietet. Hier zieht er sich mit seinen Verschworenen hinter verschlossenen Vorhängen jeweils einen Opern-Akt des Bayreuther Meisters rein.
Als Ball der einsamen Herzen erinnert „Insgeheim Lohengrin“ von Alvis Hermanis (Regie und Bühne) von fern an einen Marthaler-Abend. Dessen Schweizer Purismus wurde aber mit einer bildungsbürgerlichen Dosis Loriot gemildert.
Nur kein Nationalismus!
Man monologisiert, statt miteinander zu reden. Opernpathos wird mit der Banalität des Lebens konfrontiert: Helga (Charlotte Schwab) hat nichts gegen Regietheater. Sie lobt mit etwas dünnem Witz Hermanis’ neuen Wiener „Parsifal“ – ohne den Namen des Regisseurs zu nennen. Im Übrigen sammelt sie Kissen: Keilkissen, Bauchschläferkissen, Kuschelkissen.
Otto streitet mit Eskil (Wolfram Rupperti) über Placido Domingo, Wolfgang Windgassen und andere Heldentenöre. Heiner (Manfred Zapatka) isst gern beim Haxenbauer. Er dekonstruiert Wagners Nationalismus fast ein wenig zu demonstrativ für jene, die das Unbehagen des Regisseurs an der deutschen Flüchtlingspolitik und dem humanitären Engagement des Hamburger Thalia-Theaters noch im Ohr haben.
Lohengrin wie im Hoftheater
Wie Helga sehnt sich die im Bibliotheksdienst früh verblühte Kathi (Ulrike Willenbacher) nach einem Schwanenritter, der sie aus ihrem alleinstehenden Leben erlöst. Der kommt auch, allerdings nur als Vision: Wenn das Wagnerianer-Quintett wie bei einer spiritistischen Seance beim Nachstellen der Oper ins ekstatische Zittern gerät, irrlichtert zwischen den Büchern der Diele ein Lohengrin mit silbernem Flügelhelm wie in König Ludwigs Hof- und Nationaltheater.
Ein sanft ironisches Bild für die romantische Vergeblichkeit, geboren aus dem ungelebten Leben, den gelben Reclamheftchen und der langsam verstaubenden Sekundärliteratur. Da wächst das Bedauern, dass Hermanis den Bayreuther „Lohengrin“ von 2018 wieder abgeben musste.
Essen vom Pizzadienst
Beim letzten Abend zerfällt das Ritual. Womöglich, weil Otto den befristeten Wagner-Kreis in eine dauerhafte Tafelrunde verwandeln möchte. Die Idee eines gemeinsamen Essens scheitert am ausgeprägten Individualismus der kulinarischen Geschmäcker. Zwei banale Pizzen werden geliefert. Die Figuren reden plötzlich über ebenso banale Popmusik. Nähe entsteht keine, Lohengrin erscheint auch nicht mehr. Dafür ergleißt Kathi im silbern kalten Licht, ehe alle so einsam wie vorher wieder auseinander gehen.
Hinter dem Operngeschwätz verbergen sich stille Lebensgeschichten, deren Geheimnis nur halb gelüftet werden. Es ist ein leiser, bisweilen auch zu leise geflüsterter Abend.
Die Ausstattung kultiviert wie oft bei Hermanis eine Liebe zum naturalistischen Detail, die heute selten ist. Wagnerianer sollten „Insgeheim Lohengrin“ unbedingt sehen. Und zwar hurtig. Lang dürfte sich diese Aufführung kaum im Spielplan halten: Dafür ist sie zu speziell.
Wieder am 10. und 23. Mai und am 1. Juni. Karten unter Telefon 2185 1940