Ingo Metzmacher über "Die Gezeichneten" von Franz Schreker

Hochglanz, aber mit Rissen: Ingo Metzmacher über Franz Schrekers „Die Gezeichneten“ im Nationaltheater
von  Robert Braunmüller
Franz Schrekers Oper "Die Gezeichneten" im Nationaltheater.
Franz Schrekers Oper "Die Gezeichneten" im Nationaltheater. © Winfried Hösl

MÜNCHEN - Er war ein Zeitgenosse von Sigmund Freud, Gustav Klimt und Arthur Schnitzler. Wie sie erforschte auch Franz Schreker die dunklen Tiefen und die labyrinthische Vielschichtigkeit der menschlichen Seele. Er tat dies mit einer unendlich differenzierten musikalischen Sprache, die er aus den reichen Quellen des Orchesters schöpfte. Ab Samstag zeigt die Bayerische Staatsoper sein Werk „Die Gezeichneten“, das zuletzt 1919 unter Bruno Walter im Nationaltheater gespielt wurde. Krzysztof Warlikowski inszeniert, der Dirigent der Aufführung ist Ingo Metzmacher.

AZ: Herr Metzmacher, Ihre internationale Karriere als Dirigent begann mit Schreker. Wie war das?
INGO METZMACHER: Das war 1988. Während meiner ersten Position als Kapellmeister in Gelsenkirchen kam die Anfrage, ob ich Christoph von Dohnányi beim „Fernen Klang“ in Brüssel assistieren wollte. Ich dirigierte die Proben, bis er kam. Dann gab es einen Krach mit dem Regisseur und ich sprang bei der Premiere für ihn ein.

Kannten Sie Schreker damals?
Nur dem Namen nach, soweit ich mich erinnere. Schreker wurde in Berlin 1933 aus seinen Ämtern verjagt. Er versuchte zu emigrieren und ist 1934 gestorben. Danach war er lange vergessen. Man erzählt sich, dass der Verlag, die Universal Edition, schon mit dem Gedanken spielte, die Druckplatten zu entsorgen. Dann entstand doch wieder ein Interesse – ausgehend von einer Inszenierung der „Gezeichneten“ 1979 in Frankfurt durch Hans Neuenfels, die Michael Gielen dirigierte.

Dann sind Sie Schreker aber treu geblieben.
Außenseiter und vergessene Komponisten aus der Umbruchszeit zwischen dem späten Mahler und der Wiener Schule haben mich immer besonders interessiert. Den „Fernen Klang“ habe ich in Zürich wieder geleitet, die „Gezeichneten“ in Amsterdam. Das „Vorspiel zu einem Drama“, eine erweiterte Version des Orchestervorspiels zu den „Gezeichneten“, dirigiere ich oft im Konzert – wie ich finde, eine überwältigende Musik von großer Schönheit. Ein Hochglanz, aber mit Rissen.

In München war seit 1919 kaum etwas von Schreker zu hören. Wie muss man sich seine Musik vorstellen?
Genauso wie Wagner hat Schreker seine Musiksprache am Sujet entwickelt, mit Leitmotiven gearbeitet. Und seine Texte selber geschrieben. Die Harmonik ist schillernd. Typisch sind irisierende Klänge, die einem leicht entgleiten.

Wo kann man die Motive hören?
Das Vorspiel stellt die zentralen Figuren der Oper vor: die herzkranke, schwächliche Carlotta, eine große, empfindliche Seele, mit hohen, immer höher und leiser werdenden Geigenklängen. Dann die große Sehnsucht des hässlichen, sich nach Schönheit sehnenden Alviano. Dazu gibt es den männlichen Übermut des Grafen im Sechsachteltakt, der alle Frauen haben will. Nur bei Carlotta kommt er nicht an. Und zuletzt die strenge Musik des genuesischen Dogen Adorno, der seine Macht gefährdet sieht und Alviano anklagt. Das steckt alles bereits in dem Vorspiel. Daraus hat Schreker den ganzen Kosmos der Musik entwickelt.

Was passiert nach dem Vorspiel?
Carlotta, die herzkranke Frau, die von allen begehrt wird, sich aber zu Hause verbirgt, will Alviano malen. Das erinnert an „The Beauty and the Beast“. Sie erzählt ihm erst mal von ihrer Freundin, die nur Hände gemalt hat, und meint sich natürlich selbst. Ihn irritiert das sehr. Diese Annäherung, die ihn zum Äußersten bringt, ist musikalisch unglaublich exaltiert. Das fängt leise an und baut sich langsam auf. Dann hat sie einen Schwächeanfall. Er könnte sie in Besitz nehmen, macht es aber nicht. Dann kommt die Sehnsuchtsmusik aus dem Vorspiel wieder. Es ist eine Szene, die wir sehr intensiv proben, weil sie so schwer und großartig ist. Das muss man gehört haben.

Im Klavierauszug schaut die Musik sehr überbordend aus.
Die Partitur ist handgeschrieben und wirklich schwer zu lesen. Die Musik ist komplex, aber wenn man sich damit beschäftigt, ordnet sich das. Zumindest der Dirigent sollte mit kühlem Kopf den Überblick behalten. Man muss die Musik durchsichtig halten, denn der Aufschwung kommt von allein. Und wie bei den Strauss-Opern ist es eine Herausforderung, den Gesang auf der Bühne nicht zu überdecken.

Die „Gezeichneten“ entstanden gleichzeitig mit der „Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss. Was sind die Gemeinsamkeiten, was die Unterschiede?
Beide konnten glänzend instrumentieren. Schreker dreht die Schraube noch ein bisschen weiter. Am nächsten kamen sich die beiden in „Salome“, wo auch Strauss an die Grenze gegangen ist. Schreker dringt vor zu einer gleißenden Schönheit, die einen süchtig machen kann.

Die Musik ist schwüler, aber das Optimistische von Strauss fehlt bei Schreker.
Und die Heiterkeit.

Premiere: Sa, 19 Uhr, auch 4., 7. und 11. Juli, Restkarten: www. staatsoper.de. Die Premiere als Livestream: www.staatsoper.de

 

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