In "Point Of No Return" kreist das Theater um sich selbst

Nur drei Monate nach dem Amoklauf von München mit neun Todesopfern bringen die Kammerspiele mit „Point Of No Return“ eine Satire über den Abend auf die Bühne
von  Mathias Hejny

Unter Münchnern ist die Frage „Was hast du am 11. September gemacht?“ seit dem vergangenen Sommer aktualisiert. Nun wird nach dem 22. Juli gefragt, als ein Amokläufer am Olympia-Einkaufszentrum neun Menschen sowie schließlich sich selbst erschoss und ein Schlachtfeld mit 32 Verletzten hinterließ.

Von fünf Mitgliedern des Kammerpiel-Ensembles wissen wir nun, was sie an diesem Freitag machten. Jelena Kuljic, zum Beispiel, bereitete sich auf ihre Abendvorstellung vor und erlebte plöztlich wieder die Ängste ihrer Jugend, als Serbien bombardiert wurde.
Dejan Bu(´c)in fahndete unterdessen nach billigen Socken bei einem Textildiscounter. Dort wurde er mit entladenem Smartphone von der Panik im Stadtzentrum überrascht. Melodramatisch erinnert er sich: „Mein Handy starb in meinem Armen“. Oder Wiebke Puls: Sie saß im Theater, aber nicht beruflich, sondern als Mutter eines sechsjährigen Zwillingspärchens in der Kindervorstellung.

Abgesehen von der Sorge um ihre lieben Kleinen beschäftigte sie, als man noch glaubte, es handele sich um ein terroristisches Attentat, der triumphierende Gedanke: „Wow! Wir sind die ersten, und nicht Berlin“ und die anschließende Enttäuschung darüber, dass es nur ein Amoklauf war. Berlin ist auch ein Ort, in dem Yael Ronen Ruhm und Ehre widerfuhr. Ihr Projekt „The Situation“ am Maxim-Gorki-Theater war nicht nur zum Theatertreffen eingeladen, sondern wurde zum diesjährigen „Stück des Jahres“ vom Fachblatt „Theater heute“ geadelt.

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Ursprünglich sollte mit „Point Of No Return“, dem Debüt der israelischen Theatermacherin in München, „die Zukunft des Sex unter dem Einfluss technologischer Entwicklungen untersucht“ werden, wie es im Programmheft vermerkt ist. Zu Yael Ronens Arbeitsmethoden gehört es, die persönlichen Erfahrungen ihrer Schauspieler als Steinbruch zu nutzen. Dann platzten die Nachrichten vom Amoklauf in der Shopping Mall mit ihrem großen Gesprächsbedarf in die Probenphase. Bühnenbildner Wolfgang Menardi baute dafür einen Guckkasten, der so steil aufragt, dass sich die Spieler im ersten Teil mit Seilen gegenseitig sichern, als ginge es um eine Himalaya-Expedition.

Das Quintett wetteifert, wer das sensationellste, schrägste und auch zynischste Erlebnis beitragen kann. Das sieht im ersten Moment wie durchaus peinlich privatistisches Brettl aus, aber die Vollverspiegelung des Bühnenraums signalisiert unmissverständlich die Meta-Ebene: Wir wollen nur spielen und wenn ihr uns zuseht, seht ihr vor allem euch selbst.

Und so erklären die Bühnenkünstler ihr Handwerk, das sie zweifellos beherrschen: Das Theater als Fabrik der gefälschten Emotionen. Das wird maliziös und launig demonstriert am Verprügeln eines vermeintlichen Attentäters, politischer Korrektheit bis man nicht mehr laufen kann, dem Bericht eines Folteropfers aus Eritrea oder der Fähigkeit, auf Knopfdruck zu weinen. So ruht das Theater wieder einmal in Frieden und in sich.

Am Schluss dankt das Ensemble dem Publikum, die Bühne nicht beschossen zu haben und dem Feuerwehrmann, dass auch sonst nichts passiert ist. Sehr nett, diese Schauspieler.

Münchner Kammerspiele (Kammer 1), wieder am 4., 9. November, 20.30 Uhr, 29. November, 20 Uhr, Karten bei Münchenticket und unter Telefon 23396600

 

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