Kritik

Im Volkstheater: Thomas Manns "Zauberberg"

Die Inszenierung von Claudia Bossard verfängt sich in der Diskursschleife
Mathias Hejny |
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Das Ensemble des Volkstheaters im Schneesturm.
Das Ensemble des Volkstheaters im Schneesturm. © Gabriela Neeb

Es hätte nur eine Novelle werden sollen, die dem einsamen und mediterran erhitzten "Tod in Venedig" die frische Bergluft und die Geselligkeit eines Sanatoriums in den Schweizer Alpen gegenüber stellt. Im Herbst 1924 erschien Thomas Manns "Der Zauberberg" dann als ausgewachsener Roman in zwei Bänden mit insgesamt 1200 Seiten und zeitloses Menetekel eines großen, bevorstehenden Untergangs. Dabei ist es nicht viel, was in der hoch über Davos gelegenen Lungenheilanstalt passiert.

Der angehende Hamburger Ingenieur Hans Castorp wollte nur für drei Wochen seinen Vetter Joachim Ziemßen besuchen, der dort Patient ist. Die Ärzte entdecken bei dem jungen Besucher aber eine "kleine feuchte Stelle" in der Lunge und Castorp wird für sieben Jahre Teil dieser Parallelwelt, deren betuchte Bewohner sich weit weg glauben vom "Flachland" da unten.

Liv Stapelfeldt als Madame Chauchat.
Liv Stapelfeldt als Madame Chauchat. © Gabriela Neeb

Mit Tontechnik aus der Tiefe des Raums

Zum 100. Geburtstag des Werks hat sich das Münchner Volkstheater mit diesem großen Brocken Belletristik beschäftigt. Dafür ließ Regisseurin Claudia Bossard die große Bühne von Ausstatterin Romy Springsguth völlig ausräumen. Während manche Szene weit entfernt in der Tiefe des Raums zu verschwinden scheint, nivellieren die Mikroports jede Räumlickeit. Eine Tontechnik für Fortgeschrittene (Moritz Alfons Sträubl) vermag sogar Verschiebungen innerhalb des Raums, wenn hinten geführte Dialoge akustisch nach vorne produziert werden. Das schafft einen sehr eigenen Klangraum für eine zur Geschwätzigkeit neigenden Gesellschaft sowie den Schlagzeuger Alexander Yannilos, der den perkussiven Sound dazu liefert.

Wettstreit zwischen Demokratie und Diktatur

Die Hauptfiguren sind hier nicht der eigenschaftslos nette Castorp (Jan Meeno Jürgens) und sein militaristischer Vetter Ziemßen (Steffen Link), sondern die sich in endlosen Diskursschleifen verhakenden Ideologen Ludovico Settembrini (Jakob Immervoll) und Leo Naphta (Alexandros Koutsoulis). Settembrinis radikaler Glauben an Aufklärung und Humanismus prallen auf Naphtas zynische Utopie von einem klassenlosen und autoritären Gottesstaat.

"Der Zauberberg" im Volkstheater.
"Der Zauberberg" im Volkstheater. © Gabriela Neeb

Der Wettstreit zwischen Demokraten und Diktatoren war zwischen Erstem und Zweiten Weltkrieg ebenso brisant wie er es heute wieder ist. Das macht den "Zauberberg" auch ein Jahrhundert später zum aktuellen Text. Und doch erhebt sich in den vier Stunden durchaus munteren Treibens auf der Bühne die Frage, was die Dramaturgien zunehmend dazu treibt, nicht mehr auf Dramatiker zu vertrauen, sondern auf Romanautoren. Die Bearbeitung eines Buchs für das Schauspiel kann kaum verlustfrei gelingen.

Glanzvolle Einzelnummern

Im Falle der Adaption von Claudia Bossard fehlt der Fokus auf das bühnentaugliche Erzählen. Diesem Zweifel stellt sie sich sogar in einem Vorspiel, als sich die Frage erhebt, ob es sinnvoll sei, die Geschichte von "irgendeinem Hans" zu erzählen, die "vom Edelrost der Geschichte" überzogen sei.

Natürlich entstehen eindrucksvolle Bilder wie die krachende Faschingsparty oder der Schneesturm, den Hans Castorp nur knapp überlebt. Immerhin aber auch gibt die Inszenierung dem Ensemble des Volkstheaters Gelegenheiten, seine Qualität zu zeigen.

"Der Zauberberg" im Volkstheater.
"Der Zauberberg" im Volkstheater. © Gabriela Neeb

Gegen Ende geht die Puste aus

Die vielen Monologe, in die die Inszenierung zerfällt, sind glanzvolle Einzelnummern - nicht nur für die intellektuellen Streithähne Settembrini und Naphta. Liv Stapelfeldt gibt der kapriziösen Russin Clawdia Chauchat eine starke Kontur. Die beiden Herren, die das Sanatorium leiten, sind weiblich besetzt. Warum, bleibt unklar, aber Luise Deborah Daberkow als Hofrat Behrens und Nina Steils als Doktor Krokowski sind amüsant satirische Mediziner-Gestalten, aufgerieben zwischen Heilkunst und Gewinnmaximierung, Psychoanalyse und Okkultismus.

Obwohl er erst nach dreieinhalb Stunden erscheint, hat Pascal Fligg als Mynheer Peeperkorn noch einen effektvollen Auftritt. Er verleiht der Schlussphase, in der spürbar die Puste ausgegangen ist, noch Glanz. Selbst in der Rolle des fast wortlosen, aber unerschütterlich beflissenen Kellners entwickelt Anton Nürnberg eine tragikomische Präsenz. Viel lebendige Schauspielkunst für einen langen Abend im Theater, der dazu anregt, nicht ins Theater zu gehen, sondern mal wieder Thomas Mann aus dem Bücherregal zu ziehen.

Münchner Volkstheater, Tumblingerstr. 29, wieder am 25. Januar, 3., 11., 12. Februar, jeweils 19.30 Uhr. Karten: muenchner-volkstheater.de und Telefon 5234655

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