Kritik

Im Schlachthaus: "Mazeppa" in Erl

Die Tiroler Festspiele zeigen Peter Tschaikowskys Oper über den ukrainischen Kosaken-Hetman
Wolf-Dieter Peter |
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Tschaikowskys "Mazeppa" in Erl.
Xiomara Bender 5 Tschaikowskys "Mazeppa" in Erl.
Tschaikowskys "Mazeppa" in Erl.
Xiomara Bender 5 Tschaikowskys "Mazeppa" in Erl.
Tschaikowskys "Mazeppa" in Erl.
Xiomara Bender 5 Tschaikowskys "Mazeppa" in Erl.
Tschaikowskys "Mazeppa" in Erl.
Xiomara Bender 5 Tschaikowskys "Mazeppa" in Erl.
Tschaikowskys "Mazeppa" in Erl.
Xiomara Bender 5 Tschaikowskys "Mazeppa" in Erl.

Erl – Schon mit den ersten harten Bläserakkorden machte Dirigent Karsten Januschke klar, dass das in selbstquälerischem Ringen von Tschaikowsky geschaffene Musikdrama eben nicht nur von "tiefer russischer Seele" in spätromantisch schwelgenden Melodien geprägt ist. Anders als "Eugen Onegin" oder "Pique Dame" überwältigte auch ihn der historische Kern: Aufstieg und Machtkämpfe des ukrainischen Kosaken-Hetmanns Mazeppa um 1700, dessen Abkehr von Zar Peter, Mazeppas Bündnis mit den Schweden und Polen samt dem Hintergedanken einer ukrainischen Unabhängigkeit, das Scheitern aller Hoffnungen in der Schlacht bei Poltawa 1709 und sein Ende im Exil.

Tschaikowskys "Mazeppa" in Erl.
Tschaikowskys "Mazeppa" in Erl. © Xiomara Bender

In dieses Großszenario hat Tschaikowsky eine unglückliche Liebesgeschichte zwischen dem reifen Mazeppa und der mädchenhaftjungen Maria eingeflochten. Doch diese Passagen und die lyrischen Klagen des unglücklich liebenden Jugendfreundes Andrej dominierte eine herbe, kantige, mehrfach schroff umbrechende Klangwelt, die in der Schlachtmusik zu Poltawa gipfelte, aber Qual und Elend nie aussparte. Für diesen dramatisch modern klingenden Tschaikowsky wurden Januschke und das dementsprechend aufspielende Festspielorchester mit Bravorufen gefeiert.

Aktuelle Parallelen

Die Klangkulisse verschmolz auch gänzlich mit der Szene - deren aktuelle Parallelen einen förmlich ansprangen, mit Bibi Abels Video-Sequenzen aktueller Kriege auf den kahlen Wänden und dann von Regisseur Matthew Wild und Ausstatter Herbert Murauer unausweichlich hart "vorgeführt" wurden: nach dem Zerfall der Sowjetunion die Rivalitäten einer gediegen und sich sogar kunstliebend inszenierenden Oligarchen-Mafia mit ihren jeweiligen Mordbanden, die kaum verdeckte Brutalität mit blutiger Folter und Tötung. Demgegenüber Not, Flucht und Elend der Bevölkerung: die Zerstörung der heilen, behüteten Welt der Oligarchen-Kinder und ihr Ende in Tod oder Wahnsinn - ein Bilderfluss von der erschreckenden Realität unserer Welt, in Bann schlagend, bildgewordener Heiner Müller "Die Geschichte ist ein Schlachthaus".

Dafür hatte Murauer entgegen der technischen Begrenzung der Bühne eine faszinierende Lösung gefunden. Sein großer, heller Raum konnte auch eine vergrößerte Brutalismus-Betonzelle sein, ließ vor allem alle Menschen auf dem Bühnenboden "klein gegenüber dem Gesamtsystem" erscheinen. In der Mitte der Rückwand öffneten sich zwei Schiebewände zu fensterartigen Einblicken ins Leben der Großen-Schönen-Mächtigen. In diesem mal großen, mal kleinen Wandausschnitten wanderten Lebensräume hin und her: die Home-Story-Familientafel des Oligarchen Kotschubej, ein Bad mit goldenen Armaturen, das Kinderzimmer Marias voller Plüschtiere, Mazeppas Konferenzraum mit der Gang, sein Schlafzimmer mit Maria.

Tschaikowskys "Mazeppa" in Erl.
Tschaikowskys "Mazeppa" in Erl. © Xiomara Bender

Unten das mal staunend, mal ängstliche, auch mal mit einer klassischen Ballett-Einlage "betreute" Volk: Es verfolgte sensationsgierig die bluttriefende Abschlachtung Kotschubejs am Fernseher und endete im Flüchtlingselend (fein abgestufte Einstudierung: Olga Yanum). Beeindruckend konsequent hat Regisseur Wild dies bis ins aktuelle Detail geformt, bis hin zum kleinen Spielkameraden der hinzuerfundenen Kind-Maria, die als liebende Kindfrau Mazeppas dann ihre Plüschtiere wegpackte - und sie als an Mord und Liebesbruch wahnsinnig gewordene, einsam Verlorene am Ende wieder auspackte - mit blutigen Schusswunden.

Viele Augen wurden feucht

Dass aus diesen fast durchweg Geschlagenen dann auch große Töne hin zu Melodien hervorbrechen können, machte ein Traum-Ensemble ohne Star-Namen vokal bewegend hörbar. Von den kalt-glatten Consiglieres von Dennis Chmelesky und Carlos Cádenas über die Mutterklage von Helene Feldbauer bis zur beseelten Tenor-Lyrik der Jugendliebe Andrej von Mikhail Pirogov hin zur Kindfrau Maria von Nombulelo Yende mit süßem und strahlenden Sopran, gipfelnd in zwei dunklen Traum-Stimmen: Bass Alexander Roslavets machte die altväterlich unmoderne Grandezza Kotschubejs bis zu dessen blutigen Ende zu einem Klage-Bogen, der viele Augen feucht werden ließ.

Tschaikowskys "Mazeppa" in Erl.
Tschaikowskys "Mazeppa" in Erl. © Xiomara Bender

Petr Sokolovs Mazeppa vereinte heldenbaritonale Männlichkeit, hart berechnende Boss-Souveränität und ebenfalls klagend anrührende Emotionen beim Wotan-ähnlichen Blick in die Trümmer der eigenen Welt. Alle fein wie fesselnd differenziert geführt - und dann das musiktheatralische Ideal Walter Felsensteins erreichend, dass der singende Mensch einen selbst weiter und tiefer erleben lässt. Eine musiktheatralische Sternstunde also, die Bernd Loebes fünfjährige Rettungsarbeit des einst darniederliegenden Festspielorts Erl mit einer abschließenden Gloriole versieht.

Wieder am 19. und 21. Juli um 18 Uhr im Festspielhaus in Erl, Karten unter tiroler-festspiele.de

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