Ibsens "Peer Gynt" im Residenztheater

Sebastian Baumgartens Inszenierung hat nur seltene Momenten von Klarheit
Mathias Hejny |
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"Peer Gynt" im Residenztheater
Sandra Then 2 "Peer Gynt" im Residenztheater
"Peer Gynt" im Residenztheater
Sandra Then 2 "Peer Gynt" im Residenztheater

Professor Begriffenfeldt gibt den Freud. In bühnengroßen Schwarzweiß-Projektionen erscheint zwischen den Akten Lukas Rüppel als der deutsche Direktor des Irrenhauses in Kairo und erläutert den Narzissmus. Freud witterte auch in der Selbstliebe Libidinöses. Diese kleinen Ausflüge in die Psychoanalyse sind die seltenen Momente von Klarheit und Übersicht in der Zubereitung des "Peer Gynt" von Sebastian Baumgarten im Residenztheater.

Peers Mutter, die Bäuerin Aase (Carolin Conrad), formuliert das Problem des Sohnes pragmatischer, wenn sie wissen will, wer seine Hosen flicken soll, wenn sie mal nicht mehr sein wird. "Och, König werd ich und dann Kaiser!" verkündet der junge Mann zukunftsfroh und Mutter reimt genervt: "Gott schütze mich, jetzt wird er heiser; und kein Verstand weit und breit", weshalb Peer schwört, er brauche nur mehr Zeit.


Unter den zahlreichen Übersetzungen des dramatischen Gedichts von Henrik Ibsen fiel die Wahl auf die 2006 in Wuppertal uraufgeführte Fassung von Angelika Gundlach. Sie bezieht ihren nicht geringen Unterhaltungswert aus dem radikalen Gebrauch des Endreims. Die erste Szene hat Baumgarten als eine Leseprobe an der Rampe inszeniert, auf der das Ensemble in neutralem Schwarz aufgereiht ist.

Drei Stunden danach scheint es, so mancher im sparsam Schlussbeifall spendenden Publikum könnte sich vorstellen, dass diese Form des verteilten Vorlesens auch eine Möglichkeit für diesen Abend hätte sein können.

Dabei sieht zunächst alles so aus, als werde üppig die Wundertüte des Theaters für eine großartige sinnliche Erfahrung ausgeschüttet. Bühnenbildnerin Lena Newton hat einen grandiosen Raum von interessanter Farbigkeit gebaut, in dem das Balkenskelett von Aases Hütte in Norwegens Bergen die Klammer für das weltumspannende Spektakel ist.

Eine zweite Konstante ist die beeindruckende Drum Machine von Marc Sinan, die das Zentrum beherrscht. Für die Titelrolle sind gleich zwei Schauspieler aufgeboten, denen man immer gerne bei der Arbeit zusieht: Den jungen Peer spielt der 33-jährige Max Rothbart, nach der Pause den "Herrn P." im besten Mannesalter der 17 Jahre ältere Florian von Manteuffel. Der junge Mann ist ein freundlicher Spinner, der das Entwickeln seiner Lügengeschichten als Reflex auf sein wenig glanzvolles Dasein noch übt.

30 Jahre später ist aus dem seltsamen Jüngling ein unangenehmer Angeber mit dicker Hose und flexibler Moral geworden, den nur der Reichtum attraktiv macht. Auf der Suche nach sich selbst streift er viele Rollen des Bösen über. Gemeinsam ist beiden der zweifelhafte Geschmack, wenn es um die Kleidung geht (Kostüme: Eleonore Carrière). Es kommt immer wieder zu grandiosen Momenten wie die gruselig komische Begegnung mit den Trollen (Vincent Glander, Simon Zagermann) oder das boandlkramerhafte und doch in tänzerischer Leichtigkeit schwebende Treffen mit dem Knopfgießer (Lea Ruckpaul).

Gleichfalls lobend soll hier die Kapitalismuskritik erwähnt sein, die im beiläufig eingespielten historischen Filmmaterial über die Entwicklung von bäuerlichen Gesellschaften bis zur Industrialisierung erkennbar wird. Peer Gynts zunächst profitables Kriegsgewinnlertum, das Ibsen schon vor 150 Jahren seinem "nordischen Faust" missbilligend in den Lebenslauf schrieb, erscheint ohnehin fürchterlich zeitlos.

Doch all diese Kunstanstrengungen und all das schwerfällige Herumbrüllen von Dichtung mit eingängiger Metrik funktionieren wie die Zwiebel, die Peer zunehmend verzweifelt schält, um ihren Kern zu finden - er findet ihn nicht, und da hilft auch nicht, wenn Peer murmelt, das Gemüse ihm Bioladen gekauft zu haben. Dem Schluss wurde ein Monolog von Solveig (Vassilissa Reznikoff) angehängt, der eindringlich daran erinnert, dass die Menschen sich gegenseitig bedürfen. Dagegen ist natürlich nichts einzuwenden.

Residenztheater, wieder am 17., 23. Oktober, 3., 11., 20., 21. November, 19 Uhr, % 21851940

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