„Horror“: Eine Hommage ans Gruseln

Eine junge Frau, die ins Haus ihrer sadistischen Familie zurückkehrt, in dem sie gequält und misshandelt wurde; Das Stück "Horror" ist nichts für schwache Nerven!
von  Florian Koch
Silke Hundertmark, die Frau des „Horror“-Machers Jakop Ahlbom, spielt die Hauptrolle.
Silke Hundertmark, die Frau des „Horror“-Machers Jakop Ahlbom, spielt die Hauptrolle. © Sanne Peper

Zwei Kumpels. Der eine, kleinere schläft, der andere genießt die Zeitungslektüre. Eine entspannte Atmosphäre, bis die Zuckungen beginnen. Ungelenk, künstlich verrenkt wirken diese ersten Bewegungen einer Hand. Das Publikum lacht, als sich das Körperteil des gerade noch so friedlich vor sich hin Dösenden plötzlich selbständig macht, seinen Besitzer durch die Wohnung schleift.

Die Stimmung kippt, als das eiskalte Händchen aggressiver wird, an die Kehle erst seines Besitzers, dann auch nach der Gurgel des Freundes greift. Bald kommt auch noch eine Bekannte hinzu, versucht die wildgewordene Flosse zu bändigen. Vergeblich, am Ende hilft nur noch die Axt. Doch auch die Amputation lässt die Fingerchen nicht erstarren. Im Gegenteil.

Eine halbe Stunde ist „Horror“, Jakop Ahlboms Gruselspektakel im Deutschen Theater alt, bis zum ersten Mal richtig Blut fließt, das Chaos ausbricht. Eine Sequenz voller „Adams Family“-Anspielungswitz, voller Dynamik. Ein Arrangement, das auch für den schwedischen Regisseur und seine Kenntnisse vom Horrorgenre spricht.

Bereits der Prolog, eine wilde Blitzlichtgewitter-Aneinanderreihung einzelner Grusel-Momente, macht klar, dass hier jemand das nur schwer Mögliche wagt: Die Machart vieler Spukhaus-Filme in knapp 80 Minuten ohne Pause auf die Bühne zu verfrachten. Ganz ohne schnelle Schnitte und vertrackte Kamerafahrten. Und so vermeidet Ahlbom gerade in der ersten Hälfte zu Gunsten des Spannungsaufbaus billige Schocks, den Griff in den Theater-Kunstnebel-Fundus. Erst soll die Hauptfigur eingeführt, ihr Leiden erkennbar werden.

Schaurige und starke Bilder

Auf drei Bühnenebenen wird das Drama der Traumatisierten (Silke Hundertmark, die Frau des „Horror“-Machers) erzählt. Im Vordergrund die Gegenwart, das Wohnzimmer, das mit seinem alten Röhrenfernseher, dem unberechenbaren Tonbandgerät und den flauschig-altmodischen Sesseln merkwürdig aus der Zeit gefallen scheint.

Viel schauriger ist jedoch, was sich auf der rechten Seite verbirgt – hinter einer mal durchlässigen, mal abgedunkelten, mal mit Schwarzweiß-Filmen projizierten Tapete. Ein gekachelter Alptraum-Raum, in dem immer wieder die schreckliche Kindheit der Namenlosen aufflackert. Mit ihren eisig-versteinerten Eltern (Luc van Esch, Judith Hazeleger) und ihrer eingeschüchterten Schwester (Gwen Langenberg) sitzt sie hier am Tisch, zu hören sind hier auch mal nur das Klackern der Löffel an die Teller – und die brutalen Schläge des Vaters.

Der Gefühllosigkeit, der Gewalt wollen die beiden entfliehen. Eine berührend-bizarre Szene deutet ihren Freiheitsdrang an. Ein sattgrüner Samtvorhang wird an der linken Wandschräge aufgezogen, enthüllt die abweisende Außenwelt mit knorrigen Baumstämmen. Hier wagen die Pubertierenden neckische Spiele, mit Äpfeln als Push-Ups in der Bluse und sündig roten Slips statt biederer Unterwäsche. Die Eltern ertappen sie dabei, trennen und züchtigen sie.

Hier gelingen Ahlbom starke, schmerzhafte Bilder von einer verlorenen Jugend und einer zerstörten Zukunft. So ist es dem „Horror“-Macher hoch anzurechnen, dass er sein fast wortloses Stück nicht als plumpes Frau-stellt-sich-ihren-Dämonen-Splatterspektakel oder selbstgefälliges Horror-Insider-Happening anlegt. Klar gibt es mit dem Spinnengang aus „Der Exorzist“ oder der Fernsehgeister à la „The Ring“ einige Filmanspielungen, wird neben Kindergeschrei, wummernden Bässen und Orgelsound auch mal das „La, la, la“-Motiv aus „Rosemaries Baby“ angespielt. Doch im Vordergrund bleibt bei allen Fingerzeigen die Geschichte.

Am Ende begeisterter Applaus

Die bekommt dann noch einmal einen neuen Drive, wenn ein naives Brautpaar (Reinier Schimmel, Sofiek de Kater) ganz wie in der „Rocky Horror Picture Show“ das Horrorhaus betritt. Jetzt nehmen die tänzerisch-akrobatischen Kämpfe der Eingeschlossenen gegen bissig-ansteckende Zombies zu, wird auch mal als Ekelhöhepunkt der Darm aus dem Schlund des Bräutigams gezogen.

Doch in ein hemmungsloses Blutbad verwandelt sich das technisch perfekte, in seinen Geisterbahn-Effekten zwangsläufig aber auch wiederholende Stück nie. Und auch das Publikum, darunter viele Pärchen und weit weniger Schock-Erprobte, weiß diese durch halb Europa gereiste Produktion stilecht zu würdigen. Mit einer langen Luftanhalt-Pause vor dem begeisterten Applaus. 


Empfohlen ab 16 Jahren, bis 18. September, Schwanthalerstr. 13, Aufgang II; 20 Uhr, Tickets zwischen 25 und 55 Euro unter Tel. 55 23 44 44

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