Hofspielhaus: "In 80 Tagen um die Welt"

Als Jules Verne seinen Roman "In 80 Tagen um die Welt" schrieb, war Indien englische Kolonie und über kulturelle oder sonstige Aneignungen hat sich niemand Gedanken gemacht. Zumindest nicht in Europa. Die Geschichte des hochmütigen und exzentrisch-kauzigen Gentleman Phileas Fogg, der in seinem Londoner Herrenclub wettet, in 80 Tagen die Welt zu umreisen, ist demnach aus heutiger Sicht voll von Fallstricken. Ob religiöse Dschungel-Sekten oder amerikanische Ureinwohner in der Prärie: Wie bringt man all das im Jahr 2024 auf die Bühne?
Regisseur Dominik Wilgenbus inszeniert den Roman im Hofspielhaus als wilden musikalischen Ritt durch Kulturen und Klischees, spielt ganz bewusst mit unserer Wahrnehmung und Erwartungshaltung, überrascht mit Witz und allerlei Skurrilem. Mit seinem enorm gut gelaunten sechsköpfigen Ensemble, das sich auf der winzigen Bühne im Hofspielhaus permanent gekonnt in die Quere kommt, macht er sich auf einen Bahn- und Boot-Trip um die Welt, immer Richtung Osten, der Sonne entgegen.
Mit vollem Einsatz
Leon Sandner verwandelt sich in Phileas Fogg, starrt unter seinem Zylinder so bemerkenswert ungerührt ins Publikum, dass er tatsächlich mehr Maschine als Mensch zu sein scheint. Es braucht die Überwindung zahlreicher Längengrade, bis sich hinter seiner starren Fassade so etwas wie zarte Gefühle regen. Christoph Theussl spielt Foggs Diener Passepartout, der überall auf der Welt vor allem eines sieht: schöne Frauen. Er plustert sich unter vollem Einsatz seines französischen Akzents auf als "Seiltänzör", "Steuerberatör" oder "Hypnotisör", verdreht vielen den Kopf und sieht doch in jeder Frau (und auch jedem Tier) nur die eine: Lilly. Marina Granchette verkörpert sie - und bei weitem nicht nur sie: Von der Seemöwe über die Gallionsfigur bis zum Büffel spielt und singt sie alles, was Passepartout (und nicht nur ihn) beeindrucken kann.
Burkhard Kosche ist Fix, der vielleicht schlechteste Detektiv der Welt, der Fogg um die ganze Welt verfolgt, weil er ihn für einen Bankräuber hält. Er kriegt so oft eins auf die Fresse, bis er sich schließlich selbst verdrischt. Und dann wäre da noch Molly, die "den seltsamsten Mann der Welt" liebt (nämlich Fogg) und 80 Tage braucht, um auch in ihm Gefühle zu wecken. In dieser schlüssigen Interpretation des Stoffes folgt sie ihrem Fogg auf Schritt und Tritt, schlüpft in alle möglichen Rollen vom Zugschaffner bis zum Colonel, nur um ihm nah zu sein. Anton Roters begleitet das wilde, aber immer irgendwie auch romantische Treiben am Klavier und kommt nicht umhin, hie und da auch eine Rolle zu übernehmen, zum Beispiel die der "Martha Pfahl" in der amerikanischen Prärie. Vom Elefanten bis zum Yeti gibt es hier nichts, was es nicht gibt und was diese sechs nicht mit Begeisterung spielen.
Mitten hinein ins Herz des Vorurteils
Anstatt all den Fettnäpfchen vorsichtig auszuweichen, wirft sich Regisseur Dominik Wilgenbus also mitten hinein ins Herz des Vorurteils und schraubt alles noch weiter, spitzt zu und landet im Absurden. Da fallen Sätze wie "Nicht alles, was kleine Ohren hat, ist indisch oder ein Elefant" oder "Es gibt zweierlei Menschen, die anderen nennt man Frauen". Da spielen sich im Dschungel unter Drogeneinfluss psychedelische Szenen ab; da verkauft ein sächselnder Sioux Friedenspfeifen und "kulturelle Aneignung" und da eignet sich der Büffel Mozzarella frech die Tasche mit dem Reisegeld an. Auch wenn sich der Abend im zweiten Teil hie und da ein klein wenig in die Länge zieht, ist er doch ein großer Spaß.
Und die Moral von der Geschicht? "Als Seevogel muss man ständig über seinen Horizont schauen." Als Mensch schadet das sicher auch nicht. Und: Sieh da, wer Zeit hat, kommt auch ohne Flugzeug weit herum.
Falkenturmstr. 8, wieder am 9.,10.,14., 16., 17., 23., 24. und 29. November