Hörend auf der Wiesn spazieren

Ein zweiteiliger Hörspaziergang der Bayerischen Theaterakademie führt über die Theresienwiese
Michael Stadler |
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Die Paulskirche am Rand der Theresienwiese spiegelt sich in einer Pfütze auf einer der Straßen zwischen den Flächen mit Kies und Magerrasen.
Agnes Wiener Die Paulskirche am Rand der Theresienwiese spiegelt sich in einer Pfütze auf einer der Straßen zwischen den Flächen mit Kies und Magerrasen.

Ein zweiteiliger Hörspaziergang der Theaterakademie führt über die Theresienwiese

Kaum zu glauben, dass es dieses gespenstische Brachland mitten in München gibt. Die Theresienwiese erstreckt sich über eine Fläche von 42 Hektar, bietet dem Blick eine jenseits der Enge mancher Isolationszelle angenehme Weite und Leere, wie man sie sonst nur selten in der Stadt findet. Während des Oktoberfests wäre dieser Raum mit Zelten, Fahrgeschäften und Ständen gefüllt, aber die Wiesn fällt ja aus, beziehungsweise einzelne Schausteller sollen während des Sommers wenigstens sich in der Stadt verteilen und durch kleine Veranstaltungen am Leben gehalten werden. Münchens großer Rummelplatz bleibt aber, trotz ein paar Demos, vermutlich lange vornehmlich leer.

Etwas auditive Füllung gibt es nun: Einen Hörspaziergang „im Krisengebiet Theresienwiese“ hat der erste Jahrgang des Studiengangs Dramaturgie der Theaterakademie August Everding unter dem Titel „Mind the gap“ ersonnen. Zwei halbstündige Teile lassen sich bis zum 5. Juli auf der Webseite der Theaterakademie als Audio-Files herunterladen. So gerüstet kann man sich, das Smartphone nah am Ohr oder mit Kopfhörern angestöpselt, auf die gut angeleitete, assoziativ-informative Reise begeben.

Überwältigendes Feiergetümmel

Der erste Teil beginnt an der U-Bahn-Station Theresienwiese. Eine junge männliche Stimme im Ohr meint, man solle erstmal die Augen schließen und sich den Geräuschen, Gerüchen, Gefühlen hingeben, die man just im Moment wahrnimmt – oder vielleicht im Gedächtnis hat. Über den Asphalt geht es in Richtung Festplatz und bald stürzt auf den unsichtbar geführten Flaneur eine nur allzu bekannte Geräuschkulisse ein: das Stimmengewirr und überwältigende Feiergetümmel des Oktoberfests, erzeugt von einer Menge, wie sie sich derzeit hautnah nicht mehr versammeln darf.

In die nahe und ferne Vergangenheit wird man im ersten Kapitel katapultiert, hinein in die Historie des Oktoberfests, das zwischen 1810 und 2010 bereits 24 Mal ausfallen musste. Kriege, Seuchen und andere Katastrophen verhinderten das Fest, eine Cholera-Epidemie im Jahr 1854 beispielsweise, die allein in München über 3000 Opfer forderte. Darunter: Platz-Namensgeberin Königin Therese, zu deren Ehren das Oktoberfest 1810 zum ersten Mal stattfand. Solche Informationen mag man schon zur Genüge kennen oder sie mögen teilweise neu sein – der erste Parcours füttert einen jedenfalls mit Informationen von gestern und heute und hat auch einen imaginativen Blick in die Zukunft parat.

Männliche Expertendämmerung

Mit circa 47000 Einwohnern pro Quadratmeter gilt München als Deutschlands Stadt mit der größten Bevölkerungsdichte. Im Verhältnis dazu könnten rund 2000 Menschen Platz zum Wohnen auf der Theresienwiese haben. Es wundert daher nicht, dass 2014 und 2015 darüber nachgedacht wurde, ob man Asylsuchenden nicht Notunterkünfte auf dem Gelände einrichten sollte, nach der Wiesn vielleicht gar in den Zelten – eine Idee, die unter anderem aus Hygienegründen verworfen wurde.

Das Flüchtlingsthema, aber zum Beispiel auch das Wirken des Sicherheitsdienstes „Securitas“ streift der zweite Teil der Tour, beginnend an einem braunen Container, der mitten auf dem Areal die Leere unterbricht. Eine weibliche Stimme ist nun federführend. Die Studentinnen und -studenten haben ihre Texte größtenteils selbst eingesprochen (Mentor des Projekts: Hans-Werner Kroesinger) und haben zusätzliches Material, darunter altbekannte Lieder, in den Hörfluss montiert.

Von der „männlichen Expertendämmerung“ ist die Rede – die Pandemie hat vor allem die Alpha-Männchen aktiviert. Die finale Strecke führt einen jedoch unweigerlich zur Statue der Bavaria. Dort endet der Parcours in aller Erhabenheit, nachdem Augen und Ohren für das weite Land geöffnet wurden.

Der Hörspaziergang ist bis zum 5. Juli, 22 Uhr, herunterladbar auf der Webseite der Theaterakademie August Everding
 

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