Interview

"hildensaga" im Volkstheater: Umsturz mit weiblicher Kraft

Christina Tscharyiski inszeniert die "hildensaga" von Ferdinand Schmalz im Volkstheater.
von  Michael Stadler
Die "hildensaga" von Ferdinand Schmalz in der Inszenierung von Christina Tscharyiski im Volkstheater.
Die "hildensaga" von Ferdinand Schmalz in der Inszenierung von Christina Tscharyiski im Volkstheater. © Arno Declair

Am Volkstheater hat man Christina Tscharyiski bislang als Regisseurin musikalisch-satirischer Abende erlebt. Ihre Inszenierung "Ja, eh! Beisl, Bier und Bachmannpreis" nach Texten von Stefanie Sargnagel, mit Voodoo Jürgens als Musiker, gewann 2018 den Publikumspreis beim Festival Radikal jung. Mit der bissigen Oktoberfest-Sause "Am Wiesnrand", ebenfalls verfasst von Stefanie Sargnagel, legte Tscharyiski 2020 ihre erste Regiearbeit fürs Volkstheater vor.

Nun bringt sie mit "hildensaga. ein königinnendrama" eine breit angelegte Variante der Nibelungensage auf die große Bühne des Neubaus: Im Stück des österreichischen Dramatikers Ferdinand Schmalz gehen Brünhild und Kriemhild ein starkes Bündnis gegen die Gewalt der Männer ein. Die Premiere ist heute Abend.

AZ: Frau Tscharyiski, die "hildensaga" wurde im letzten Sommer in einer Inszenierung von Roger Vontobel bei den Nibelungen-Festspielen in Worms uraufgeführt. Waren Sie dort?
CHRISTINA TSCHARYISKI: Nein. Unsere Dramaturgin Rose Reiter hat sich die Inszenierung angeschaut, aber ich habe es leider nicht geschafft, das Stück wurde ja auch nur zwei Wochen gespielt. Natürlich habe ich einiges darüber gehört, aber letztlich finde ich es gut, dass ich sie nicht gesehen habe, weil ich dadurch keine vorgefertigten Bilder im Kopf habe. Zudem herrschten in Worms andere Bedingungen: Freilichtbühne, ein Spektakel mit riesigem Wasserbecken, das Ensemble musste vorab Tauchstunden nehmen, Mario Adorf wurde per Video auf irgendeine Mauer projiziert …

"Das alte Volkstheater war eine große Turnhalle mit eingebauter Bühne"

Wobei das neue Volkstheater Ihnen wohl wesentlich mehr Möglichkeiten bietet als das alte.
Absolut. Das alte Volkstheater war ja eine große Turnhalle mit eingebauter Bühne. Die technischen Möglichkeiten im Neubau sind jetzt total beeindruckend. Und wir konnten gleich drei große Bühnenbilder bauen, mit denen wir die Ortswechsel, die es im Stück gibt, gut nachvollziehen können.

Und zwar?
Am Anfang sind wir in Island, in einem kargen Land, das etwas Mythisches an sich hat. Diese mythische Weite wollen wir auch auf der Bühne erzeugen. Dann sind wir in Burgund, wo im Gegensatz zu Island alles sehr eng ist. Und im dritten Teil sind wir im Wald, dort arbeiten wir mit einer starken Video-Ebene: Es gibt eine Art Film-Set, in dem mit Wild-Überwachungskameras gedreht wird.

Als wildes Tier durchstreift der Wolf, auch metaphorisch, das Stück. Wie deuten Sie dieses Motiv?
Zunächst mal spielt der Wolf in der germanischen Mythologie natürlich eine zentrale Rolle: In der "Ragnarök"-Sage löst sich der Fenris-Wolf vom Firmament und läutet das Untergehen der Welt ein. Diese potentielle Gefahr ist Teil des mythologischen Hintergrunds. Ferdinand Schmalz hat zudem ein Zitat von Heinrich Heine an den Anfang gestellt, in dem Heine vom Wölfischen im Menschen spricht. Es geht schon sehr um diese Kreatürlichkeit im Stück. In Burgund werden die tierischen Triebe durch die höfischen Gepflogenheiten übertüncht, aber der Wolf bricht sich doch immer wieder Bahn.

Clara Fenchel als eine der Nornen, Jonathan Müller als Siegfried und Henriette Nagel als Brünhild (v.l.).
Clara Fenchel als eine der Nornen, Jonathan Müller als Siegfried und Henriette Nagel als Brünhild (v.l.). © Arno Declair.

Auch das Weibliche, besonders Brünhild, wird stark mit dem Wölfischen in Verbindung gebracht.
Das ist auch das Interessante an dieser Figur: Brünhild ist eine der wenigen Heldinnen, die es überhaupt gibt, und zwar in einer mittelalterlichen Erzählung! Sie hat alle Attribute, die man normalerweise männlichen Helden zuspricht, ist stark und mutig, eine Urgewalt. Die Männer wollen sie zähmen und unterwerfen, was als großer Macht-Akt gedeutet wird. Im Stück gelingt das auch teilweise …

… aber Brünhild lässt sich nicht unterkriegen.
Ich weiß, dass es Ferdinand Schmalz immer gestört hat, dass Brünhild im Nibelungenlied nicht auserzählt wird, während nebensächliche Dinge viel Gewicht bekommen, vor allem in der Rezeption. Die Drachentöter-Sage wurde gerade von den Deutschen aufgebauscht, wobei sie im Nibelungenlied nur nebenbei erwähnt wird. Aus Siegfried wurde ein strahlender Held gemacht, obwohl er mit der Tarnkappe an Brünhilds Vergewaltigung durch Gunther maßgeblich beteiligt ist. Das wird in der Rezeption übergangen oder heruntergespielt. Schmalz war es ein großes Anliegen, dass aus Brünhild die Hauptfigur einer Erzählung wird und sie ein gebührendes Ende findet.

Kriemhild als Gegenentwurf zu Brünhild

Kriemhild erscheint als Gegenentwurf zu Brünhild: eine Frau, die sich aus der Welt zurückgezogen hat, aber nicht in Ruhe gelassen wird, weil sie auch als mögliche Trophäe wahrgenommen wird.
Klassischerweise wird Kriemhild als die Keusche, Feine, Zarte dargestellt, aber in Ferdinands Version hat sie der Welt durchaus selbstbestimmt den Rücken zugekehrt und erweist sich später als diejenige, die am meisten zum Umsturz der Verhältnisse bereit ist. Während Brünhild die Philosophie vertritt, dass man in seine Zeit genauso wie in seine Panzerkleider hineinfällt und nur versuchen kann, sich in dieser Zeit einzurichten und in ihr zu überleben, vertritt Kriemhild die Position, dass man jede kleinste Chance zur Veränderung ergreifen muss, selbst wenn man dafür einen hohen Preis zahlen muss.

Im Gegensatz zum Nibelungenlied, in dem Brünhild und Kriemhild verfeindet bleiben, bilden sie in der "hildensaga" ein Bündnis. Wobei es 70 von 100 Seiten dauert, bis sie sich endlich verschwistern.
Naja, es dauert ja auch in der Realität sehr lange, bis sich gesellschaftlich etwas bewegt. Dazu braucht es viel Kraft und Überzeugungsarbeit: Die Erkenntnisse, die man gewonnen hat, muss man erstmal auf die anderen übertragen. Dabei muss man Gruppen überzeugen, die womöglich einen vermeintlichen Vorteil im alten System haben. Bis alle die Einsicht haben, okay, wir können in dieser Gesellschaft so nicht mehr weitermachen, auch wenn wir gerade noch von ihr profitieren, vergeht viel Zeit.

Dieses System ist deutlich patriarchalisch geprägt, die "hildensaga" kann als feministische Antwort auf das Nibelungenlied gelesen werden.
Finde ich auch. Wobei ich es interessant finde, dass die Frauenfiguren zwar irrsinnig stark und toll geschrieben sind, aber es trotzdem gar nicht so viele Frauen in dem Stück gibt. Brünhild und Kriemhild sind von sieben, acht Männern umgeben, die in den Szenen einen hohen Gesprächsanteil haben. Was aber auch den Nibelungen-Stoff spiegelt, der in dieser Männerwelt spielt. Es kostet einfach viel Arbeit seitens der Frauen, diese Erzählung an sich heranzuholen, sich in ihr Räume freizuschaufeln.

Wobei es die drei Nornen gibt, die sich ebenfalls mit Brünhild und Kriemhild solidarisieren.
Ja, die Nornen haben eine zentrale Autorinnenfunktion und versuchen, die Geschichte umzuschreiben.

Nicht nur sie berichten ausgiebig, was sich an Handlung abspielt. Kommen Sie als Regisseurin nicht in die Verlegenheit, dass es Doppelungen zwischen Erzähltem und Gezeigtem gibt?
Damit ist tatsächlich nicht so leicht umzugehen, weil es im Stück auch viele Texte gibt, in denen die Figuren in der Außenperspektive von sich selbst berichten. Durch die Sprache wird die Welt des Stücks erschaffen, weshalb wir uns schon immer wieder Gedanken machen mussten, wie wir das mit Aktion anreichern können, ohne dass die Sprache geschwächt wird. Es gibt einige harte, gewaltsame Szenen, da ist die Beschreibung extrem explizit. Aber es ist natürlich klug, die Gewalt in der Sprache zu belassen, weil sie so nicht ausführlich gezeigt werden muss, sondern in den Köpfen der Zuhörenden stattfindet.

Brünhild und Kriemhild können radikal und brutal sein

Die Gewalt üben zunächst die Männer aus, im Wald schlagen die Frauen zurück. "Muss immer wieder alles ins Gemetzel münden?", fragt Kriemhild.
Wenn man sich die Situation im Iran anschaut, würden wir uns wohl alle wünschen, dass ein Regime für Veränderungen offen ist, aber ich weiß nicht, ob das realistisch ist. Ich finde es auch gut, dass Ferdinand die Figuren nicht schwarz-weiß geschrieben hat, sondern alle ihre moralischen Ambivalenzen haben. Während männliche Helden oft zwiespältig sind, wirken Heldinnen in der Regel ungebrochen tugendhaft. Brünhild und Kriemhild haben jedoch dunkle Seiten, sie können radikal und brutal sein, was ich insofern interessant finde, weil es diesem klassischen Schema nicht entspricht.

Sie haben viel neue Dramatik inszeniert, Klassiker kaum. Weil es darin selten interessante Frauenfiguren gibt?
Es gibt die üblichen fünf, sechs Stücke, in denen strahlende Frauenfiguren im Zentrum stehen, aber es stellt sich ja auch die Frage, ob diese zeitgemäß sind. In der neuen Literatur ist das anders, da hat ein starker narrativer Wandel stattgefunden, den ich total spannend finde. Ich habe viele Uraufführungen in den letzten Jahren inszeniert, wobei man sagen muss, dass ein neues Stück mit feministischer Thematik in der Regel auf der kleinen Bühne stattfindet. Insofern ist die "hildensaga" als Stoff mit zwei weiblichen Hauptfiguren, inszeniert auf großer Bühne mit elf Schauspielerinnen und Schauspielern, mit drei riesigen Bühnenbildern, einer Laufzeit von derzeit zwei Stunden und 40 Minuten und insgesamt einem Aufwand, der gerade das Budget und alle Kapazitäten des Theaters sprengt, eine absolute Seltenheit.

Sie inszenieren regelmäßig auf den Bühnen Wiens, am Berliner Ensemble, am Schauspiel Frankfurt, am Schauspielhaus Düsseldorf oder hier am Volkstheater. Und zunehmend im größeren Rahmen.
Ich habe schon länger mit diesen Theatern zusammengearbeitet und switche immer mehr auf die größeren Bühnen. Was aber auch bedeutet: Klassikersuche! Gerade jetzt, wo alle die Sorge haben, ihre Häuser nicht vollzukriegen und überlegen, wie sie das Publikum zurückholen und halten, gibt es bei den Theaterleitungen den starken Impuls, vor allem Stücke zu machen, die die Leute bereits kennen.

Das heißt, Sie müssen unter den Klassikern auf Trüffelsuche gehen?
Genau. Immer wieder. Aber ein Stück von Elfriede Jelinek kann man zum Beispiel auch auf der großen Bühne spielen. Man darf das Publikum nicht unterschätzen. Wenn nur noch der "Kanon" gespielt wird, wo soll uns das hinbringen als Gesellschaft? Ich bin eine Vertreterin des narrativen Theaters und glaube, dass wir aus Geschichten gemacht sind. Wenn man wie ich ein Kind hat, merkt man von Anfang an, wie wichtig das Spielen und Erzählen von Geschichten ist, um die Welt zu begreifen. Ich bin mir sicher, dass die Menschen insgesamt süchtig nach Geschichten sind und dass sie auch Lust auf Neues haben. Wenn man das Gefühl hat, da will uns eine Truppe etwas näherbringen, es steckt eine Leidenschaft dahinter, dann weckt das doch hoffentlich Interesse und lässt einen gerne wiederkommen.


Die Premiere am 2. Dezember um 19.30 Uhr ist ausverkauft. Restkarten evtl. an der Abendkasse. Für die Vorstellung am 3. Dezember um 19.30 Uhr, gibt es Karten unter der Telefonnummer 089/5234655

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.