"hildensaga" im Volkstheater: Kriemhild und Brünhild im Zentrum

München - Unter der weiten weißen Ebene Islands wabert es. Vielleicht sind es vulkanische Eruptionen, vielleicht aber auch das Gewürm aus Worms (nomen est omen?), das da langsam, aber stetig an die Oberfläche drängt: um die stolze Brünhild zu unterwerfen, um Unfrieden zu stiften.
Die Bühne – wie eine Erdscheibe
Die Bühne, die Sarah Sassen für dieses ganz besondere Nibelungenlied entworfen hat, erzählt jedenfalls kongenial diese Geschichte. Wie eine Erdscheibe liegt sie da, über ihre Ränder kriechen die Figuren hinten auf die Spielfläche. Aus der Ebene Islands wird sich im zweiten Akt eine unterirdische Welt erheben: klaustrophobisch enge Erdschächte, Wurmlöcher, Worms eben, als enges, düsteres Gefängnisloch. Dass, wer hier kreuchen und fleuchen muss, zu Höherem drängt – man kann es diesen Nibelungen kaum verübeln.
Nibelungensage neu geschrieben
Der österreichische Autor Ferdinand Schmalz hat die Nibelungensage neu geschrieben. Sein Stück heißt "hildensaga – ein königinnendrama" und rückt die beiden "Hilden", Kriemhild und Brünhild, ins Zentrum des Interesses. Nach der Uraufführung bei den Nibelungenfestspielen in Worms im Juli hat Christina Tscharyiski das Stück jetzt am Münchner Volkstheater inszeniert. Und herausgekommen ist ein durch und durch fantastischer Abend!
Feministische Übersetzung
Wenn sich jemand daran macht, einen klassischen Stoff feministisch zu überschreiben, wie es ja gerade häufiger passiert, dann wird das Ergebnis nicht selten eher bemüht, eher gut gemeint als gut. Hier nicht: Schmalz fasst das alte Lied von Siegfried, Hagen, Gunther und all den anderen vermeintlichen Helden nicht nur in eine starke Sprache, er erzählt die Geschichte ganz selbstverständlich neu.
Haltung als Zusatz
Er ändert angenehm wenig an der Handlung, aber nahezu alles an der Haltung dazu. Eifersüchteleien und Zickenkrieg zwischen den beiden Königinnen? Hier Schnee von gestern. Vielmehr und viel logischer folgt hier auf den Betrug der Männer die Verschwesterung der Frauen. Mit einem Vergewaltiger das Ehebett teilen? Das kommt für keine in Frage.
Körperliche Präsenz
Tscharyiski nun setzt in ihrer Inszenierung ganz auf die körperliche Präsenz ihres Ensembles. Requisiten braucht sie wenig, die wundervollen Kostüme von Svenja Gassen aber tragen viel bei zu dieser Erzählung. Wenn der Schwächling Gunther sich rühmt, die unbesiegbare Brünhild im Dreikampf geschlagen zu haben, nimmt Julian Gutmann ihr die Krone ab und streift ihr, der Kriegerin, einen rosa-plüschigen Umhang über.
"wie so ein Souvenir / werd ich verpackt, verschnürt, / ein mitbringsel / ein andenken an eine nordlandfahrt", sagt Henriette Nagel wie erstarrt. Es braucht keine Fesseln, ihre Demütigung könnte nicht größer sein als diese stoffgewordene Schmach. Szenen wie diese gibt es einige an diesem dichten Abend.
Wie Siegfried und Brünhild sich am Anfang ineinander verknoten in einer Umarmung der Ebenbürtigen. Wie die drei Nornen sich aus der Erde Islands erheben, um das Geschehen zu kommentieren, Kämpferinnen für die Frauenrechte, gehüllt in metallische Ganzkörperanzüge. Wie sich der Dreikampf zwischen Brünhild und Gunther in eine fulminante Gruppenchoreographie verwandelt, während die Wettkämpfe in den starken Worten von Ferdinand Schmalz beschrieben werden.
Worte und Bilder ergänzen sich
Hier stiehlt kein Element dem anderen die Show, was die Worte plastisch vergegenwärtigen, wird nicht durchs Spiel gedoppelt, sondern geschickt durch Bilder ergänzt. Auch wenn die Geschichte an sich bekannt ist: Man hört und sieht sie wie zum ersten Mal, wartet gespannt auf jede Wendung, die da kommt. Immer wieder diese Momente, die einem durch und durch gehen. Die Schreie, die aus dem Off tönen, wenn Brünhild von Siegfried und Gunther in gemeinsamer Mission "unterworfen" wird, während Hagen betont: "wir haben nichts gehört".
Die männliche Grausamkeit
Es ist die männliche Grausamkeit gegenüber den Frauen – und deren jahrhundertelange gesellschaftliche Akzeptanz – von der Schmalz anhand der Nibelungen erzählt. Aber auch, und das ist das neue, von der Selbstermächtigung der Frauen, ihrer Befreiung aus dieser fremdverschuldeten Unmündigkeit. Es ist ein Kampf, der seinen Tribut fordert.
Es wird enger auf der Bühne
Auch das wird schon im Raum sichtbar. Von Akt zu Akt wird es enger auf der Bühne. Aus Island geht es in den Wormser Untergrund, dann zur Jagd hinaus in den Wald, der nurmehr eine kleine Filmkulisse ist. Mit Nachtkameras machen sie hier Jagd aufeinander. Eine Optik, die an die düsteren Aufnahmen der Handkameras im Kino-Thriller "Blair Witch Project" denken lässt. Die Weite vom Anfang, sie ist nur noch filmische Illusion.
Bis die Gewalt wieder eskaliert
Als das Morden vorüber ist, steht Brünhild alleine auf der weiten Fläche, eine Erinnerung an das Vorher, das es nun nicht mehr gibt: "und aus diesem blutbad steigen wir, steigen raus mit dünnerer haut als zuvor". Die Toten werden im Wald bleiben, die Erinnerung an dieses Grauen aber wird die Lebenden verfolgen. Wie der Wolf, der schon lauert, "bis wieder alle hemmungen fallen". Bis das Zusammenrotten von neuem beginnt. Bis die Gewalt wieder eskaliert. Denn: "dort draußen lauern wölfische zeiten".
Eine fantastische Ensemble-Leistung
Dieser Abend packt alles aus, was Theater kann. Er ist eine fantastische Ensemble-Leistung. Lukas Darnstädt, Rabea Egg, Clara Fenchel, Julian Gutmann, Alexandros Kroutsoulis, Jonathan Müller, Henriette Nagel, Cornelia Pazmandi, Max Poerting, Vincent Sauer und Nina Steils spielen rundum überzeugend und reißen einen förmlich hinein in diese weit entfernte und doch irgendwie wieder ganz nahe Welt.
Volkstheater, Tumblingerstraße 29, wieder am 12., 13. und 18. Dezember sowie am 7. Januar, Karten unter Telefon 523 46 55 oder muenchner-volkstheater.de