"Heute ist Morgen" im Prinzregententheater: Diversität hoch drei
München - Ballett funktioniert über Körpersprache. Es kommt ohne Worte aus, verlangt aber Technik und "inneren Reichtum" - von den Tänzern also weit mehr, als nur gut auszusehen. Ihre Bewegungen müssen mit Inhalt gefüllt sein, nur so kann sich die Magie einer Choreografie voll entfalten und den Zuschauer fesseln.
Von der Spitze des Bayerischen Staatsballetts aus treibt Igor Zelensky - auf das Künstlerische fokussiert und selten im Rampenlicht der Öffentlichkeit - die tänzerischen Qualitäten der Kompanie voran. Hinzu kommt eine Erweiterung ihres Repertoires im Spannungsfeld von Vergangenheit und Gegenwart nebst Hausdebüts weltweit gefragter und überzeugender Tanzschöpfer.
Corona wirbelte bei Zelensky einiges durcheinander
Zelenskys Maximen sind seit 2016 die gleichen geblieben. In der Coronazeit aber wirbelte einiges durcheinander: Vor allem der Schub im Bereich der Moderne wurde ausgebremst. "Ballett ist nicht gleich Ballett, weshalb wir nicht einen einzigen Stil perfektionieren, sondern uns mit unterschiedlichen choreografischen Handschriften beschäftigen", sagt Zelensky und weist auf die schwierige pandemische Arbeitssituation hin. "Wir müssen uns davon erholen und wollen mit voller Kraft zurückkommen, um das zu tun, was wir lieben."
Unter insgesamt elf Produktionen spielen verschobene Premieren und Uraufführungen jüngerer Choreografen eine Rolle - ebenso Wiederaufnahmen jener Werke, die für einen Corona-Spielplan umgemodelt wurden und nun wieder in kompletter Pracht und Länge erstrahlen sollen. Zu letzterer Gruppe gehören Ray Barras "Schwanensee", Peter Wrights "Giselle" und Andrey Kaydanovskiys Puschkin-Ballett "Der Schneesturm", das der Hauschoreograf bislang bloß in einer Covid-Version hatte herausbringen können. Außerdem kehren Roland Petits "Coppélia", George Balanchines "Jewels" und nach vierjähriger Pause John Neumeiers "Sommernachtstraum" in neuer Besetzung zurück.
"Die Geschichte vom Soldaten" lieferte einen ersten Vorgeschmack
Ein Repertoire mit großer Bandbreite, das sowohl für ganz unterschiedliche Publikumsgruppen als auch für die mit dem Haus verbundenen Tänzerinnen und Tänzer interessant ist, bleibt Zelensky auch in seiner sechsten Saison wichtig. Was zeichnet diese besonders aus? Es ist die erste gemeinsame mit dem neuen Opernintendanten Serge Dorny und Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski. Ein positiver Ruck scheint das Beziehungsgefüge der Sparten zu durchziehen - fast unaufgeregt selbstverständlich.
Das Montagsstück von Strawinskys "Die Geschichte vom Soldaten" während des Lockdowns war ein erster Vorgeschmack. Richtig umgesetzt können diese Ambitionen freilich erst ab übernächster Spielzeit. Noch haben Jurowski und Zelensky kein konkretes Projekt. "Wir diskutieren bereits, was möglich wäre, träumen davon, das Ballett auf ein anderes musikalisches Niveau zu heben, wenn der Generalmusikdirektor für uns dirigiert. Schließlich machen wir alle zusammen die Staatsoper aus. Ich bin froh, Teil eines Teams zu sein, dass dem Publikum geben möchte, was es während der Pandemie vermisst hat."
Zelensky muss sich wie im Siebten Himmel gefühlt haben, als Jurowski explizit betont, ein Ballettdirigent zu sein, das Genre zu lieben und dass er fest vorhabe, nicht nur Opern und Konzerte zu dirigieren, sondern auch Ballett - zumindest eines. Schöne Aussichten, lebt Tanzkunst doch nicht nur von Bewegung. Sie wird maßgeblich von ihrer Ausstattung, Beleuchtung und last but not least (Orchester-)Musik getragen.
Zelensky holt zum Auftakt "Cinderella" nach
Zum Auftakt holt Zelensky mit einem Jahr Verspätung die Deutsche Erstaufführung von Christopher Wheeldons opulentem Familienballett "Cinderella" (19. November, Musik: Sergej Prokofjew) nach. Mit "Alice in Wonderland" ist dies die zweite große Märchenproduktion des stellvertretenden künstlerischen Leiters des Royal Ballett in München. Sie bringt 360 Kostüme für 40 Protagonisten unter einem magischen Baum auf der Bühne zusammen.
Neben dem weiterhin laufenden Dreiteiler "Paradigma" mit kleingruppigen Werken von Russel Maliphant, Sharon Eyal und dem unlängst nur 35-jährig verstorbenen Liam Scarlett eröffnet das verschobene Triple Bill "Passagen" die Ballettfestwoche am 26. März 2022. Hier werden Alexei Ratmanskys "Bilder einer Ausstellung" (UA 2014 beim New York City Ballet) mit zwei ersten Neukreationen von Marco Goecke und David Dawsons für das Staatsballett kombiniert. Eine weitere Uraufführung erwartet das Publikum beim neuen Septemberfest im Cuvillés-Theater ("Liaison", 18. 9.).
Zum Saisonausklang darf man sich unter dem Titel "Heute ist Morgen" einmal mehr von Hoffnungsträgern der choreografischen Zunft im Prinzregententheater überzeugen lassen. In der diesjährigen Ausgabe der Reihe trifft der Zuschauer auf die Britin Charlotte Edmonds, die in "Generation Goldfish" Tänzer ins nasse Element wirft und dort Strömungen bezwingen lässt. Özkan Ayik - zwischen 2017 und 2019 Tänzer am Gärtnerplatz - hinterfragt in "Tag Zwei" menschliche Erfahrung von Kontinuität. Emil Faski aus dem russischen Ufa beschäftigen in seinem "Othello" psychologische Mechanismen. Das verspricht Diversität hoch drei!
"Heute ist Morgen", 24. (Premiere) bis 27. Juni, jeweils 19.30 Uhr im Prinzregententheater. Karten unter 089/21851903
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