Hervés Operette "Dr. Faust jun." - die AZ-Kritik

Operette will nicht sterben – Reanimation gelingt nur zur Hälfte: Hervés Operette „Dr. Faust jun.“ in der Reithalle.
von  Michael Bastian Weiß
Operette will nicht sterben – Reanimation gelingt nur zur Hälfte: Hervés Operette „Dr. Faust jun.“ in der Reithalle. 
 
Die frühreifen Pariser Schülerinnen des Dr. Faust sind nicht begeistert, als eine Neue, Marguerite, in der Klasse auftaucht – und sich ausgerechnet mit einem deutschen Jodler vorstellt. Dieses Gretchen ist überhaupt ein schönes Früchtchen, sie haut ihre Mitschülerinnen, entschwindet dann aber schnell in ein frivoles Etablissement, wo sie den Can-Can tanzt. Als sie dann endlich mit dem verjüngten Faust verheiratet ist, macht ihr dessen Pakt mit dem Teufel keine Sorgen – wohl aber, dass der grundgut gebliebene Doktor seinen ganzen Reichtum aufgegeben hat, um ein ehrliches Leben zu führen.
 
Im späteren 19. Jahrhundert, als die Deutschen noch Charles Gounods Erfolgsoper „Faust“ aus Pietät gegenüber Johann Wolfgang von Goethe als „Margarethe“ gaben, mag Hervés Parodie auf Johann Wolfgang von Goethe und Gounod zugleich noch aufregend respektlos gewirkt haben. Dass dieser Witz mittlerweile weitgehend verpufft ist, hat wohl dazu beigetragen, dass diese Operá bouffe Florimond Rongers alias Hervés, einem leicht jüngeren Zeitgenossen Jacques Offenbachs, praktisch verschollen gegangen ist: Das ambulante Gärtnerplatztheater spielt in seiner diesmaligen Spielstätte, der Reiterhalle, nicht weniger als die Münchner Erstaufführung. 

Die fehlenden zehn Prozent

Wenn man die Musik etwa mit Offenbachs gleichzeitig entstandenen „Banditen“ vergleicht, schneidet Hervé etwas schlechter ab, weil er zur Breite und zum Lyrismus tendiert und freche, zündende Nummern eher rar gesät sind. Michael Brandstätter leitet das Gärtnerplatz-Orchester, das in der Reithalle hervorragend klingt, mit angenehmer Besonnenheit, doch es fehlt das letzte Bisschen an Glanz, rhythmischer Schärfe und Stringenz, überhaupt ein mitreißender Bewegungsgestus. Freilich können die Sänger den Dirigenten, der mit dem Orchester hinter ihnen auf der Bühne wirkt, nicht sehen, sodass dessen Einflußmöglichkeiten zu stark begrenzt sind.
 
Wenn man die lustvollen Unverschämtheiten dieser Faust-Travestie nicht verlieren mag, muss die Regie eher mutig als vorsichtig modernisieren. Rudolf Freys Inszenierung schlägt einen vielversprechenden Weg ein, wenn der weibliche Mephisto zu Beginn das wie immer scheue Publikum mit einbezieht und dann den Faust aus dessen Reihen rekrutiert. Elaine Ortiz Arandes spielt den Teufel als „Cabaret“-artig geschminkten Conférencier, der „enttäuschten Abonnenten nicht widerstehen kann“, dann aber seine Idylle „Die vier Jahreszeiten“ mit genießbarer Melancholie singt. Auch, wenn vor der Pause die Zuschauer eher erfolgsarm zu einem Can-Can animiert werden sollen, verbleibt das Gros der Handlung dann letztlich doch ganz konventionell auf der abgeschlossenen Bühne; hübsch anzuschauen sind die bewusst historisierenden Kostüme (Bühne und Kostüme: Rainer Sinell). 

Kräftiger wiederbeleben!

Die Witze des im Ganzen zu dominanten Dialogs sind aber schon etwas schal. Alexandra Flood ist eine kapriziöse Marguerite und David Sitka ein lustig spießiger Faust mit leichtem Operettentenor. Wenn aber das promiske Gretchen in der Hochzeitsnacht ihren Gatten zum zehnten Mal mit dem falschen Namen anspricht, wird ein ohnehin schon schwacher Gag endgültig zu Tode geritten. Maximilian Mayer als Valentin hinterlässt mit seinem strahlenden Tenor den sängerisch stärksten Eindruck; dass er am Ende einfach nicht sterben will, amüsiert dann doch. Das steht sinnbildlich auch für Hervés „Kleinen Faust“: Er will einfach nicht sterben. Man müsste ihn nur kraftvoller animieren, als es dieser Produktion gelingt.
 
 
 
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