Vorwürfe gegen Gärtnerplatz-Regisseur
München - In Theatern sind nur Techniker und die Verwaltung fest angestellt, an Opernhäusern dazu der Chor und das Orchester. Regisseure und Ausstatter werden produktionsweise engagiert. Bei Schauspielern, Sängern und Tänzern - Frauen sind stets mitgemeint - regelt der "Normalvertrag Bühne Solo" die Verhältnisse. Und dieser Vertrag kann jährlich gekündigt werden.
Das verhilft den Theaterleitungen zu einer hohen künstlerischen Flexibilität. Aber sie gibt den Intendanten auch eine in anderen Bereichen der Arbeitswelt ungekannte und von den öffentlichen Finanziers kaum kontrollierte Macht: Theaterleiter sind die letzten Feudalherren in der Demokratie. Manche von ihnen regieren tatsächlich nach Gutsherrnart, andere im Stil des aufgeklärten Absolutismus. In den 1970er Jahren erprobte Alternativen zum Intendantensystem haben sich allerdings auch nicht wirklich bewährt und endeten in endlosem Streit.
Vom Gärtnerplatz-Ensemble geschätzt
Macht hat es an sich, dass sie mißbraucht werden kann und auch wird. Ein solcher Fall scheint laut einem Bericht der österreichischen Tageszeitung "Der Standard" in Wien vorzuliegen. Herbert Föttinger, der Schauspieler und erfolgreiche Intendant des Theaters in der Josefstadt, neige zu Wutausbrüchen. Zudem verhindere er, dass Maßnahmen gegen sexualisierte Gewalt an seinem Haus ergriffen würden, so das Blatt.
Föttinger ist in München kein Unbekannter. Er inszeniert seit über einem Jahrzehnt immer wieder am Gärtnerplatztheater, dessen Hausherr Josef E. Köpplinger wiederum häufig an der Josefstadt arbeitet. Derzeit probt Föttinger in München Bizets Oper "Carmen", die Ende Oktober als erste Premiere der neuen Spielzeit am Gärtnerplatztheater herauskommt.

Föttinger sei ein emotionaler Mensch, sagt Köpplinger auf Nachfrage. Er schätzt den Wiener Kollegen, der zuletzt im Februar 2023 Massenets "Werther" am Gärtnerplatz herausbrachte. Föttinger sei beim Ensemble seines Hauses beliebt. Köpplinger wehrt sich gegen eine Vorverurteilung und vertraut darauf, dass die Angelegenheit in Wien geklärt würde.
Kritik und Gebrüll
Die dort gegen Föttinger erhobenen Vorwürfe sind massiv. Er habe in seiner fast 20-jährigen Amtszeit ein "Klima der Angst" erzeugt. "Als Regisseur gebe Föttinger alle Schritte und Bewegungen auf der Bühne vor. Wer Aspekte seiner Inszenierung infrage stelle, werde vor dem gesamten Team bloßgestellt", heißt es in dem Bericht. Auf Kritik reagiere Föttinger mit Gebrüll, wem etwas nicht passe, bekomme gesagt, er könne jederzeit gehen und das Theater verlassen. Gerechtfertigt werde dieses Verhalten damit, dass die Kunst über allem stehe, erklären mehrere Personen aus der Technikabteilung.

Der Zeitung liegen eidesstattliche Versicherungen von Betroffenen vor. Inwieweit die Kritik von einer Mehrheit oder einer Minderheit am Theater in der Josefstadt ausgeht, lässt sich nicht erkennen. Heikel ist die anonymisierte Geschichte einer Ankleiderin, die von einem Darsteller sexuell belästigt wurde. Der Fall scheint von der Theaterleitung unter den Teppich gekehrt worden zu sein. Weil die Betroffene nach wie vor mit dem Künstler zusammenarbeiten musste, habe sie gekündigt.
Lückenlose Aufklärung
Föttinger soll lange Zeit nicht bereit gewesen sein, einen Verhaltenskodex zu einem gewaltfreien Arbeitsklima zu unterzeichnen, wie er im deutschsprachigen Theaterbetrieb üblich geworden ist. Zuletzt unterschrieb die Direktion aber doch - am 9. September, dem gleichen Tag, an dem "Der Standard" das Theater mit den Vorwürfen konfrontierte.
Österreichische Politiker verlangen eine "lückenlose Aufklärung" der Angelegenheit. Föttingers Amtszeit ist allerdings endlich: Er wird im Sommer 2026 abgelöst. Dann übernimmt die derzeitige Intendantin des Landestheaters Niederösterreich, Marie Rötzer, das traditionsreiche Haus in der Josefstädter Straße.
Das Ensemble stellt sich hinter Föttinger
Am Sonntag hat sich am Sonntag die Ensemblevertretung zu Wort gemeldet und hinter ihren Direktor gestellt. Die Vorwürfe seien lückenlos aufzuklären, allerdings weise man die Pauschalverurteilungen zurück, es gebe eine "Kultur der Angst". Für die Mitarbeiter seien die Josefstadt und die Kammerspiele "Orte, an denen ein respektvoller, freundschaftlicher Arbeitsprozess gepflegt wird". Es gebe schon seit einiger Zeit eine "notwendige Debatte" über eine neue Führungskultur. Gemeinsam mit Föttinger, der als "aufopfernder und leidenschaftlicher Theatermensch" beschrieben wird, wolle man in den nächsten zwei Jahren "diese Schritte der Veränderung gehen.
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