Henriette Nagel über "Probleme Probleme“ nach Ingeborg Bachmann
Der Sommer läuft und das Volkstheater befüllt ihn mit Premieren. Bereits vier neue Inszenierungen hat das Haus von Christian Stückl seit Ende Juli herausgeschossen; heute steht die fünfte Premiere an, im Innern auf der großen Bühne des Volkstheaters. Abdullah Kenan Karaca setzt Ingeborg Bachmanns 1972 veröffentlichte Erzählung „Probleme Probleme“ in Szene, mit Jakob Immervoll, Max Poerting und Henriette Nagel. Letztere gehört seit einem Jahr zum Ensemble des Volkstheaters.
AZ: Frau Nagel, man kann Sie wohl zu den Opfern der Corona-Krise zählen?
HENRIETTE NAGEL: Ja, im weitesten Sinne schon. Ich hätte im Frühjahr mit „Madame Bovary“ meine erste Hauptrolle am Haus gespielt. Einen Tag, bevor wir mit den Bühnenproben loslegen sollten, wurde das Theater dichtgemacht. Wir hatten uns zuvor ausgiebig mit dem Roman und der Adaption befasst; ich konnte meinen Text auswendig, die Kostüme, alles war da. Dann konnten wir uns die Bühne mitsamt dem Bühnenbild bei einer ersten Abendprobe anschauen. Und schon war es vorbei.
Die Premiere war für den 29. März angesetzt. Wie hätte denn die Inszenierung ausgesehen?
Wir hatten mit unserer Regisseurin Mirja Biel eine Mischform aus Spielen und Erzählen eingeprobt. Das heißt, wir wollten den Roman kondensiert erzählen und haben immer wieder die verschiedenen Figurenperspektiven eingenommen. In meinem Fall hätte ich die Figur Emma erzählt und wäre immer wieder auch in Spielsituationen eingestiegen. So ganz die Hoffnung habe ich aber noch nicht aufgegeben, dass wir das Stück nicht doch noch spielen. Allein schon wegen des tollen Kleides! Zumindest ist die Aufführung weiterhin im Gespräch.
Liest man nun die Stückfassung zu „Probleme Probleme“, gibt es darin ebenfalls sehr viel Prosa.
Ja, wir erzählen diese Geschichte als Trio, sind also alle drei die Hauptfigur Beatrix. Dabei steigen wir aber auch in Situationen ein, so dass wir immer auf dieser Kante sind zwischen Erzählen und Erleben.
Beatrix ist 20 Jahre alt, hat wenig Lust auf soziale Kontakte und will eigentlich nur noch schlafen. Dieses Sich-Isolieren passt ganz gut zu unserer Zeit.
Leidet sie unter einer Art Corona-Depression?
Das könnte man meinen, aber wir wollten nicht erzählen, dass Sie unter einer Depression leidet. Wir wollen eine Frau zeigen, die sich von diesen ganzen alltäglichen Entscheidungen überfordert fühlt, die Angst vor dem Draußen hat und sich deshalb in ihren eigenen vier Wänden zurückziehen will.
Dennoch gibt es einen Ort draußen, der Beatrix magisch anzieht.
Ja, der Frisörsalon „René“! Dass finde ich auch sehr berührend: Dass sie immerhin dort etwas wie Schönheit für sich entdeckt. Beatrix hat zwar eine Affäre mit einem verheirateten Mann, die sie trotz aller Probleme, aus reiner Bequemlichkeit, aufrechterhält. Aber letztlich ist sie eine einsame Frau. Im Frisörsalon fühlt sie sich zumindest ein wenig aufgehoben, findet ein bisschen Erfüllung.
Wie wichtig sind Ihnen Frisörsalons?
Mittel. Ich habe meine Haare ziemlich vernachlässigt in den letzten Monaten. Das wird aber direkt nach der Premiere nachgeholt, ich habe schon einen Termin!
Zuletzt ruft Beatrix „Ja, die Männer!“. Dabei hat Sie kaum Kontakt mit Männern und kann denen doch wohl kaum die Schuld für Ihren Zustand geben.
Sie lebt aber in einer Gesellschaft, die sehr von Männern bestimmt wird, und ist in ihrer Selbstwahrnehmung stark von dieser Männerwelt geprägt. So zieht sie sich zwar von ihrer Umwelt zurück, aber guckt doch immer wieder mit diesem Außenblick auf sich selbst. Sie performt ständig, in jeder Situation, was sie übrigens auch mit Madame Bovary verbindet. Beide Frauen versuchen, aus ihrem Gefängnis auszubrechen, aber ihre Möglichkeiten sind so begrenzt, dass sie scheitern müssen.
Wie ist für Sie das Proben unter Corona-Bedingungen?
Ich finde es nicht so schlimm. Bei manchen Gängen auf der Bühne muss man aufpassen, dass man im 1,5-Meter-Abstand auf den anderen folgt. Da entstehen manchmal seltsame Pausen, aber insgesamt gewöhnt man sich schnell daran. Ich habe auch unsere anderen Premieren gesehen und finde, dass es gar nicht so auffällt, wenn die Spielerinnen und Spieler auf Distanz bleiben. Ein gewisser Abstand kann ja auch Spannung erzeugen, ein Flirren.
Sie haben hier Shylocks Tochter und einen Floh in „Am Wiesnrand“ gespielt. Zuvor waren Sie für drei Jahre Ensemblemitglied am Theater Bielefeld und wurden unter anderem als Flaschengeist in „Aladin und die Wunderlampe“ besetzt. Welche Rolle hat Ihnen bisher am meisten Spaß gemacht?
Das kann ich so nicht sagen. Der Floh muss ständig auf diesem dicken, weichen Bauch herumhüpfen, dazu die gemeinsamen Sprechpartien – das ist sehr anstrengend, aber auch ein Riesen-Spaß! Den Flaschengeist habe ich in Bielefeld in 53 Vorstellungen gespielt, am Ende haben mich fast alle Kinder auf der Straße erkannt. Das war insgesamt sehr herzlich in Bielefeld, wie die Leute einen auf dem Markt, auf der Straße angesprochen haben: „Also, wie Sie das gestern gemacht haben, das war wirklich ganz, ganz toll!“. Man hat sich richtig prominent gefühlt.
Sie haben zuvor eine Hauptrolle in den beiden „Freche Mädchen“-Filmen gespielt, die von der Münchner Constantin produziert wurden. Sie werden wohl auch deshalb auf der Straße erkannt?
Heute nicht mehr so. Die Zielgruppe ist jetzt zwischen 20 und 25 Jahre alt; da ist man zu erwachsen, um kreischend auf einen zuzurennen. Wir haben die Filme zum Teil in der Maxvorstadt gedreht, wo ich jetzt wohne. Das ist schon etwas komisch, ständig an den alten Drehorten vorbei zu kommen.
Wie bereitet man im Alter von 14, 15 Jahren eine Rolle vor?
Gar nicht. Das waren wir selbst. Abends beim Zähneputzen haben wir die Texte auswendig gelernt, wurden morgens zum Drehort gefahren, dort geschminkt und angezogen. Vor der Kamera haben wir dann die Sätze gesagt und versuchten dabei, dass sie natürlich klingen. Dann wurden wir wieder abgeschminkt, sind ins Hotel zurückgefahren und haben den Text für den nächsten Tag gelernt.
Sie gingen später in Leipzig auf die Schauspielschule. Von Schauspielstudierenden ist oft zu hören, dass der Beruf auf einmal wesentlich komplizierter wird und alle irgendwann in eine Krise geraten.
Ja, so ist es. Man fängt an, sich alle möglichen Gedanken über alles Mögliche zu machen. Wenn ich heute probe, stehe ich manchmal völlig auf dem Schlauch: Bin ich jetzt Beatrix oder Ingeborg Bachmann oder etwa ich selbst, die Schauspielerin? Durch solche Phasen muss ich dann durch. Am Ende stehe ich aber auf der Bühne und versuche wie damals, die Sätze einfach so klingen zu lassen als kämen sie von mir.
Manche Schwierigkeiten schafft man sich offenbar selbst. Haben Sie eigentlich eine Erklärung dafür, wieso Ingeborg Bachmann ihre Erzählung „Probleme Probleme“ genannt hat?
Keine Ahnung. Es hat so ein bisschen was von einem Stücktitel von Herbert Fritsch. Durch die Doppelung klingt alles nicht mehr ganz so schlimm, ein bisschen lockerer. Ach, Probleme, Probleme…
Die Premiere am 26. August, 20 Uhr, ist ausverkauft. Restkarten evtl. an der AK. Nächste Vorstellungen: Morgen, 20 Uhr, und am Samstag, 17.30; Karten unter Telefon 523 46 55