"Heldenplatz" in den Münchner Kammerspielen: Mit dem Hammer argumentiert

Um die Theaterstücke des 1989 verstorbenen Schimpf- und Übertreibungsdramatikers ist es zuletzt stiller geworden. Manchmal serviert man sie noch als Schauspielerfutter und komödiantischen Edelboulevard. Das um die deutsche Nazi-Vergangenheit kreisende Stück "Vor dem Ruhestand" war vor einigen Jahren am Residenztheater zum Einakter zusammengestrichen. Das darf als Zeichen gewertet werden, dass diese Texte nicht gut altern.
Nun wagen die Kammerspiele mit Bernhards anderem politischen Drama "Heldenplatz" einen weiteren Versuch. Es wurde von Claus Peymann zum 100-jährigen Jubiläum der Eröffnung des Wiener Burgtheaters in Auftrag gegeben und spielt nur ein paar Meter entfernt vom Ort der skandalumwitterten Uraufführung: in einem Park und einer Wohnung unweit jener historisch kontaminierten Stelle, wo die Massen 1938 Adolf Hitler bejubelten, als er vom Balkon der Neuen Burg den sogenannten Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland bekanntgab.
Quälendes Jubelgeschrei
Von diesem Jubelgeschrei wird die Frau von Professor Schuster obsessiv gequält. Ihr Mann hat sich vor Beginn der Handlung aus Verzweiflung über die Schlechtigkeit der Welt im Allgemeinen und der Verkommenheit Wiens im Besonderen aus dem Fenster gestürzt. Seine Hinterbliebenen bedenken und zerreden diesen Tod in drei großen Szenen. Wobei sich Professor Robert, der Bruder des Verblichenen, als noch grausamerer Neinsager und Beschimpfungsvirtuose erweist.
An den Jubel am Heldenplatz wurden die Wiener noch nie gern erinnert. Die Uraufführung im November 1988 fiel mit dem Höhepunkt der Waldheim-Affäre zusammen. Damals solidarisierten sich viele Österreicher mit ihrem Bundespräsidenten, der womöglich seine Beteiligung an Kriegsverbrechen während des Zweiten Weltkriegs vertuscht hatte.
Das alles spielt in die Inszenierung von Falk Richter mit hinein. Das Jubelgeschrei ist gleich am Beginn zu hören, dann werden die erste und zweite Szene - mit minimalen Verfremdungen - ohne größere Eingriffe gespielt. Wenn Annette Paulmann als Haushälterin die Ansichten des Verstorbenen referiert, als sei sein Grant in sie gefahren, blitzt hin und wieder die psychologische Seite der Dramen Bernhards auf. Wiebke Puls spielt das leicht frustrierte Leben der Akademikerin ohne Liebe ein wenig mit, und am Ende bringt Jeanette Spassova als fragile Frau Professor sprachlich etwas k.-&-k.-Charme ein.

K&K-Charme und ein schwarzer Aschehaufen
Die übrigen Akteure, darunter Katharina Bach, Thomas Hauser und Wolfgang Pregler, fletschen als Papiertiger von Bernhards Menschenfeindschaft die Zähne. Den auffälligen Widerspruch, dass die Figuren zwar alles an Österreich verabscheuen, aber geradezu obsessiv an der Wohnung am Heldenplatz, einem Haus in einem geistes- und gemütstötenden Provinzkaff und in Jobs mit unerträglich antisemitischen Kollegen festhalten, löst Richter nicht auf, weil er die zehn Prozent absurde Komik in Thomas Bernhards Drama mit eisernem Besen ausgekehrt hat.
Das Subtile ist die Sache dieser Inszenierung nicht. Weil der Professor als jüdischer Österreicher von den Nazis ins Exil vertrieben und nach seiner Rückkehr geschnitten wurde, dürfen ein schwarzer Aschehaufen und ein Übermaß an Schuhen nicht fehlen (Bühne: Wolfgang Menardi).
Leises Unbehagen stellt sich ein, wenn Juden, Transsexuelle, "migrantisch Gelesene" und Menschen im Rollstuhl über Zeit und Raum hinweg als Opfer gleichgesetzt werden. Nach der Pause wird in einem neuen Text von Falk Richter nur noch mit dem Dampfhammer argumentiert: Anne Sophie Kapsner, Bernardo Arias Porras und andere leitartikeln eine gute Viertelstunde über die fatale Grauzone zwischen dem Liberalismus der Konservativen und Neuen Rechten.
Franz Josef Strauß, Markus Söder, Alexander Gauland, Alice Weidel, Viktor Orbán und andere landen alle im gleichen Sack, und auf den wird mächtig eingeschlagen. Was da gesagt wird, ist zwar zutreffend, aber im Ton zu schrill und eindimensionaler als jede Bernhard-Tirade. Weil das Publikum in den Kammerspielen naturgemäß aus fortschrittlichen Antifaschisten besteht, werden die Proteste im Zuschauerraum von scharfgescheitelten Gipsköpfen übernommen.
Rechthaberische Lautstärke
Dann kommt der unsägliche Artikel aus der "Süddeutschen Zeitung" über den Pianisten Igor Levit zur Sprache. Falk Richters Tirade ist da nur noch einen Millimeter vom "Lügenpresse"-Gerede der Rechten entfernt, während sich beim Betrachter der Eindruck verstärkt, dass das Theater bei redlichster Gesinnung auch in Zukunft den politischen Journalismus nicht wird ersetzen können.
Hätte Richters Textfassung die Klage über den Verfall der Schauspielkunst oder das emphatische Lob der heute von rechts gern gelesenen "Neuen Zürcher Zeitung" beibehalten, wäre mit Hilfe der Vorlage ein neuer Widerspruch entstanden. Auch die ausländerfeindliche Bemerkung der Haushälterin wurde gestrichen.
Zuletzt versuchen sich Wolfgang Pregler und die Jubler vom Heldenplatz einander zu überbrüllen. Da könnte man widerstrebend auf die Idee kommen, dass an der Hufeisentheorie der Annäherung von ganz links und ganz rechts doch etwas dran sein könnte. Und sei es nur in der rechthaberischen Lautstärke, die hier keine feineren Zwischentöne durchdringen lässt.
Schauspielhaus, 6., 22. und 29. Dezember. Karten online oder unter Telefon 089/23396600.