Hector Parras Oper „Das geopferte Leben“ im Carl-Orff-Saal
Erlösungswonnen, lieblich mild: Hèctor Parras Oper „Das geopferte Leben“ zum Abschluss der Biennale für Neues Musiktheater im Carl-Orff-Saal am Gasteig
Manchmal ist der Rezensent eine Fehlbesetzung. Ich hasse es, wenn ältere Familienmitglieder alte Kindheits-Geschichten wiederkäuen und uminterpretieren. Genau das aber spielt eine große Rolle in Hèctor Parras Kammeroper „Das geopferte Leben“, der letzten Uraufführung der Münchener Biennale für Neues Musiktheater, die das Festival mit dem wagemutigen Freiburger Theater koproduziert wurde.
Ein Mann (Alejandro Lárraga Schleske) ist gestorben. Seine Frau (Sally Wilson) und die Mutter (Sigrun Schell) beginnen, seinen Tod zu verarbeiten, da kehrt er mit Erlaubnis der Unterwelt zurück. Die Mutter behauptet mit Macht, dass sie ihn am meisten geliebt hat. Sie opfert sich und geht für ihn in den Tod, das Liebespaar bleibt zurück.
Es ist nicht, wie die Dramaturgie der Biennale zu behaupten beliebt, der Orpheus-Mythos mit vertauschten Geschlechterrollen, sondern eine Variante der Alkestis-Geschichte. Der Dramatiker Euripides hat 483 vor Jesus Christus daraus eine heftige unlösbare Beziehungs-Zerreißprobe gemacht. Für Parra harmonisierte die französische Schriftstellerin Marie NDiaye die Gratwanderung zwischen Leben und Tod zu sprachlich preziösem Opferkitsch, der nicht einmal vor dem Bibelzitat „Es ist vollbracht“ zurückschreckt, als sei die Mutter zur Erlösung ihres Sohnes wie Jesus am Kreuz zur Erlösung verschieden.
Rauschhafte Musik
NDiaye mag manches absichtsvoll zweideutig und als Figurenperspektive gemeint haben. Auf der Bühne, die zur Eindeutigkeit drängt, verwandelt es sich zum naiven Hinterglasbildchen mit der Legende vom schönen Sterben, das koloratursingend auftritt, weil der Tod (Lini Gong) auf Französisch weiblich ist.
Erträglich wird das alles nur durch Parras rauschhafte Musik, die mit dem ensemble recherche und dem Freiburger Barockorchester alte und neue Instrumente zusammen-bringt. Das ist so verblüffend wie zwingend, weil es das Kramen in der Vergangenheit sehr zwingend musikalisch illustriert und zwischen dem modernen und barocken Gesangsstil manche Gemeinsamkeit besteht. Parra zitiert bisweilen Gesten der Musik des 17. Jahrhunderts, was die Vergangenheitskrämerei so veredelt, dass sie fast genießbar wird.
Es ist bei allen Einwänden gegen den Text die zwingendste Partitur dieser eher mageren Biennale. Und auch szenisch gab es nichts Besseres zu sehen: Vera Nemirovas Inszenierung interpretiert die sehr statische Handlung mit viel psychologisch-realistischem Feingefühl. Und so ist es in der Summe doch eine Aufführung, die nicht nur Psychoanalytiker ansprechen dürfte, die den Muttertag nachfeiern möchten, sondern in ihrem Willen zum Schöngesang und den Erlösungswonnen des 19. Jahrhunderts auch ganz normale Opernbesucher.