Hautnah in München: Wie schafft man Nähe?

Vor der ersten Szene ist bereits ein Unfall passiert. Eine Frau wurde von einem Taxi angefahren. Dan, ein erfolgloser Schriftsteller, der sein Geld mit dem Schreiben von Nachrufen verdient und der Zeuge des Unfalls wurde, hat sie ins Krankenhaus gebracht. Beide sitzen nun in einem Raum des Hospitals.
Der Dermatologe Larry kommt vorbeigeschlendert und untersucht kurz ihre blutig geschlagenen Knie. Alice Ayres nennt sich die Frau und sie hatte offenbar schon vor längerer Zeit einen weiteren Unfall: An einem Bein hat sie eine Narbe in Form eines Fragezeichens. Womit ihr Körper ein Zeichen trägt, das mehrfach über dem gesamten Stück hängt.

Die Identitäten sind nicht sicher, sind fluide in Patrick Marbers "Hautnah". Der Mensch ist sich und den anderen ein Rätsel. Was frustrierend ist, aber auch seinen Reiz hat und gerade bei den Männern eine Suche nach der einen "Wahrheit" auslöst, die sie aber vielleicht gar nicht so genau wissen möchten.
"Closer" heißt das Stück im Original: Wie nahe kann man einem Menschen kommen? Uraufgeführt wurde das Werk 1997 in London und entwickelte sich schnell zu einem weltweit gespielten Erfolg. 2004 kam die Verfilmung von Mike Nichols in die Kinos, mit Natalie Portman, Julia Roberts, Jude Law und Clive Owen in den Hauptrollen. Andreas Wiedermann, Leiter der Straubinger Kompagnie "Theater Plan B", hat "Hautnah" nun inszeniert. Die Produktion gastiert gerade im Teamtheater Tankstelle und wird am 10. April im Straubinger "Anstatt-Theater" gezeigt.
Mit Hollywood-Stars möchte man die Vier, die unter Wiedermanns Regie spielen, nicht vergleichen, aber sie wurden passend zu den Rollen besetzt und schaffen es, die Spannung über fast zweieinhalb Stunden zu halten. Viel Aktion gibt es bei Marber nicht. Sein Stück ist ein Konversationsdrama, mit einigen Ortswechseln und Zeitsprüngen, was aber keine großartigen Bühnenumbauten erfordert. Im Teamtheater gibt es vier schwarze Stühle zum Sitzen, hinten hängen vier großformatige, von Oliver Vilzmann aufgenommene Porträtfotos der vier Darsteller.
Da das Drama in den Worten liegt, haben Wiedermann und sein Ensemble sich sinnigerweise auf die Entwicklung der Charaktere, ihre Gefühle und die Zwischentöne in den Dialogen konzentriert. Dabei befinden sich die Figuren in einem Beziehungskarussell, das sich über Jahre hinweg dreht und immer wieder neue Konstellationen entstehen lässt. Autor Dan kommt mit Stripperin Alice zusammen, lernt aber Fotografin Anna kennen, die wiederum eine Liaison mit dem Dermatologen Larry eingeht. Anna und Dan verlassen ihre jeweiligen Partner, weil sie sich ineinander verliebt haben. Larry rächt sich, indem er Alice im Stripclub aufsucht und mit ihr schläft. Und so weiter.
Ein verletzlicher Lebemann, eine verzweifelte Ruhige
Dass man bei diesem Beziehungsreigen nicht den Überblick verliert, ist den vier Schauspielern zu verdanken, die ihre Figuren unter der Regie von Wiedermann klar konturieren. Oliver Vilzmann ist als Larry ein auch körperlich lockerer Lebemann, der aber nicht gefeit vor Verletzungen ist. Fulminant kann Larry seine Fassung verlieren, wenn er sich betrogen fühlt. Im Gegensatz zu ihm ist Andreas Schwankl als Dan der besonnenere, sensiblere Mann. Immerhin muss er sich auch als Autor von Nachrufen in die jeweiligen Menschen hineinfühlen, über die er schreibt - sogar noch während sie leben, damit der Nachruf im Todesfalle bereits im Computer parat liegt.

Offenherzig über Sex reden
Das digitale Zeitalter war, als Marber das Stück schrieb, schon längst im Gange. In einer frühen Szene chatten Dan und Larry im Rahmen eines Dating-Portals, wobei Dan sich als Frau ausgibt, um mit Larry mehr als nur zu flirten. Ihre Unterhaltung kippt in einen pornografischen Jargon, der vor 25 Jahren wohl neu und vielleicht sogar skandalös im Theater wirkte, heute aber gelassenes Gelächter im Publikum auslöst.
Wiedermann lässt die beiden Männer in ihren Smartphones herumtippen, das Plinken und Quietschen beim Erhalt einer Nachricht erhöht die Komik. Insgesamt wird in "Hautnah" so offenherzig über Sex geredet, wie es damals - und eigentlich auch noch heute - eher selten auf der Bühne passiert. Dabei erweisen sich gerade die Männer als besitzergreifende und eifersüchtige Partner. Wird ein Seitensprung gestanden, so wollen sie jedes Detail des Beischlafs wissen, obwohl sie sich damit selbst verletzen. "Warum ist der Sex so wichtig?", will Anna einmal wissen. "Weil ich ein scheiß Neandertaler bin!", schreit Larry.
Anna März gibt Anna eine Ruhe, unter der eine Verzweiflung liegt, die plötzlich hervorbrechen kann. Einsam sind sie alle, aber so richtig beziehungsfähig sind sie eben auch nicht. Am meisten gibt sich Alice ihren jeweiligen Lieben hin: Lara Kimpel meistert ihre körperbetonte Rolle ausgezeichnet, wechselt glaubhaft zwischen emotionaler Zurückhaltung und offenherzigen Ausbrüchen. Gegen Ende nimmt die Gefühlsintensität zu, ein paar Wahrheiten kommen ans Licht. Und selbst wenn sich nicht alles aufklärt - ein bisschen ist man den Vier nahegekommen.
Teamtheater Tankstelle, Am Einlaß 2a, Mi und Do, 19.30 Uhr, Karten Tel.: 260 43 33