Hauke Berheides Oper "Mauerschau" in der Reithalle
Aus dem Off ertönt eine Stimme. Es ist Colin Powell, der frühere Außenminister der USA. In seiner berüchtigten Rede 2003 vor dem UN-Sicherheitsrat präsentiert er vermeintliche Beweise für irakische Massenvernichtungswaffen. Während man Powells Worte hört, ist eine nicht minder berühmte Fotographie zu sehen. Sie stammt von Roger Fenton, aufgenommen 1855 im Krimkrieg zwischen Russland und dem Osmanischen Reich, England, Frankreich und Sardinien. Auf einer staubigen Straße liegen Kanonenkugeln.
Mit dieser beklemmenden Szene beginnt die Oper „Mauerschau“ von Hauke Berheide, die jetzt bei den Münchner Opernfestspielen in der Reithalle uraufgeführt wurde. Powells Worte und Fentons Foto haben die Manipulation gemein. Die Beweise gegen den Irak waren falsch, trotzdem wurde ein fataler Krieg geführt. Eine Fälschung ist auch Fentons Aufnahme: Um die Wirkung des Bildes zu verstärken, hatte er einige Kanonenkugeln zusätzlich arrangiert.
Das passt vortrefflich zur Verstragödie „Penthesilea“ von Heinrich von Kleist, auf die das Libretto von Amy Stebbins hauptsächlich fußt. In dem 1808 publizierten Drama geht es um den liebestollen Kampf zwischen Achill und Penthesilea – vor dem Hintergrund des Kriegs um Troja.
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Der Krieg bleibt unsichtbar, weil über ihn nur gesprochen und berichtet wird. Sein und Schein, Wahrheit und Fiktion vermischen sich. Auch deswegen ist das Trauerspiel von Kleist beklemmend aktuell. Leider klammert dies die Regie von Stebbins gänzlich aus. Statt den starken Beginn konsequent durchzuführen, verkleidet Belén Montoliú die Protagonisten mit Kostümen, die die Antike aufgreifen – garniert mit dekorativem Videodesign und Bühnenbild (Luftwerk). Das alles wirkt wie ein Faschingsfest.
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Die insgesamt zwölf Szenen bleiben getrennte Einzelbilder, obwohl die bühnenwirksame Musik von Berheide einen ungeheuren Sog entwickelt. Kunstvoll changiert die Partitur zwischen Spätromantik, Expressionismus und geräuschhafter Moderne, wobei das Kammerensemble um Klavier und Schlagwerk ergänzt wird. Stilsicher agiert das Bayerische Staatsorchester, zumal sich die Petrenko-Assistentin Oksana Lyniv erneut als umsichtige, feinfühlige Dirigentin präsentiert.
Davon profitieren auch Adriana Bastidas-Gamboas einnehmende Penthesilea und Edwin Crossley-Mercers kühn-verletzlicher Achill. Um die tiefenpsychologischen Schichten aus Kleists Werk herauszuschälen, stehen ihnen jeweils ein hoher Schatten (Leela Subramaniam, Joshua Owen Mills) sowie ein tiefer Schatten (Hanna Herfurtner, Frederic Jost) zur Seite. Eine Botin vermittelt (musikalisch gesprochen: Hildegard Schmahl). Der Chor kommentiert, wie in der antiken Tragödie – absolut hörenswert!
Reithalle, Heßstr. 123, wieder am 1., 3. Juli, Karten zu 24 Euro, Telefon 21 85 19 20