"Greek" von Mark-Anthony Turnage im Postpalast
Keine Sekunde ist zu spüren, dass diese Oper schon vor 29 Jahren bei der Münchener Biennale uraufgeführt wurde. Die Musik ist unglaublich frisch: Ein kleines Orchester mit tiefen Bläsern, Schlagzeug, Harfe und Klavier begleitet scharf und zugleich opulent im Klang. Fast jeder Musiker hat auch noch ein zusätzliches Schlaginstrument oder eine Trillerpfeife. Hin und wieder wird auch getrampelt. Und die Oper endet, in furioser Abwandlung des griechischen Mythos, überraschend glücklich mit einer flirrend hellen Klangfläche.
Mark-Anthony Turnages „Greek“ verlegte 1988 den Ödipus-Mythos in die damalige britische Gegenwart der Thatcher-Arä. Die war ziemlich heutig: ziemlich fertig, vulgär und fremdenfeindlich.
Ödipus heißt hier Eddy (Tim Kuypers). Der angenommene Sohn eines Kleinbürgerehepaars verlässt wegen einer sinistren Jahrmarktsprophezeihung seine Heimat. Bei der Rückkehr streitet er mit dem besoffenen Wirt eines Cafés, der sich dermaßen sinnlos aufregt, dass er an einem Herzinfarkt dahinscheidet. Natürlich ist der Kerl sein biologischer Vater. Dann heiratet Eddy die Besitzerin (Okka von der Damerau), von der er nicht weiß, dass sie seine Mutter ist.
Das antike Theater als Zitat
Kurz vor Schluss wird eine mögliche Selbstblendung mit allen anatomischen Details durchgegangen. Da erweist sich der Textdichter Steven Berkoff als Vorläufer von Sarah Kane Co. Doch die Figuren kommen zum Schluss, dass Liebe etwas Unschuldiges ist. Und mütterlicher Sex sowieso. Ödipus huldigt dem goldenen Körper Jokastes und beschließt, mit seiner Mutter weiterzuleben. Ein starkes Happy End, ein Wunder der modernen Oper.
Im Postpalast, heuer Schauplatz der Festspielwerkstatt der Bayerischen Staatsoper, ist es mindestens heiß so wie vor 2500 Jahren im Dionysostheater von Athen. Die kreisförmigen Tribünen in der Rotunde des ehemaligen Paketzustellamts verleihen dem Raum einen Hauch von antikem Theater. Die Schienen mit dem fahrbaren Haus zitieren die Ekkyklema, ein theatertechnisches Gerät der alten Griechen (Bühne: Franziska Boos).
Wolfgang Nägele, ein Assistent von Hans Neuenfels, inszenierte die Oper ohne falsche Schnörkel. Oksana Lyniv hält das Bayerische Staatsorchester und den übrigen musikalischen Apparat mit einer Sub-Dirigentin (Anna Handler) und einer ebenfalls dirigierenden Soffleuse (Georgina-Elisabeth Wismeyer) energisch zusammen. Und die Akustik des Raums bildet die zwischen Heftigkeit, Jazz und Süße changierenden Musik optimal ab.
Die emotionale Dichte dieses etwa 90 Minuten kurzen Abends ist hoch – keine Selbstverständlichkeit im modernen Musiktheater. Nur eines stört: die biedermeierliche Übertragung des Texts ins Deutsche. Slang lässt sich nicht anverwandeln. Und „Plague“ bedeutet nun mal nicht „Plage“, sondern „Pest“. Das nervt. Aber derlei ist, zugegebenermaßen, ein Luxusproblem.
Wieder am 3. und 4. Juli im Postpalast, Wredestraße 10, Restkarten unter www.staatsoper.de