Gottfried von Einem und "Dantons Tod"

Premiere im Gärtnerplatztheater: Der Biograf des Komponisten Gottfried von Einem über dessen Oper „Dantons Tod“
Robert Braunmüller |
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"Dantons Tod" von Gottfried von Einem im Gärtnerplatztheater.
Christian P. Zach 5 "Dantons Tod" von Gottfried von Einem im Gärtnerplatztheater.
"Dantons Tod" von Gottfried von Einem im Gärtnerplatztheater.
Christian P. Zach 5 "Dantons Tod" von Gottfried von Einem im Gärtnerplatztheater.
"Dantons Tod" von Gottfried von Einem im Gärtnerplatztheater.
Christian P. Zach 5 "Dantons Tod" von Gottfried von Einem im Gärtnerplatztheater.
"Dantons Tod" von Gottfried von Einem im Gärtnerplatztheater.
Christian P. Zach 5 "Dantons Tod" von Gottfried von Einem im Gärtnerplatztheater.
"Dantons Tod" von Gottfried von Einem im Gärtnerplatztheater.
Christian P. Zach 5 "Dantons Tod" von Gottfried von Einem im Gärtnerplatztheater.

Womöglich war sein Leben interessanter als seine Musik. Es gibt Fotos aus Bayreuth, auf denen der junge Gottfried von Einem (1918–1996) hinter Adolf Hitler steht. Später wurde der Komponist von der Gestapo verhört. Er stand der Widerstandsgruppe „Onkel Emil“ um Ruth Andreas-Friedrich nahe und unterstützte einen Pianisten, der wegen seiner jüdischen Herkunft untergetaucht in Berlin lebte. Joachim Reiber hat eine Biografie des Komponisten verfasst, dessen Oper „Dantons Tod“ ab Donnerstag im Gärtnerplatztheater zu sehen ist.

AZ: Herr Reiber, Ihr Buch trägt den Untertitel „Komponist der Stunde null“. Eigentlich ist Einem doch ein typisches Beispiel dafür, dass es die Stunde null nie gegeben hat.
JOACHIM REIBER: Das sehe ich genauso. Der Titel der Biografie ist ein Spiel mit dieser vielzitierten Illusion und Utopie. Einem repräsentiert beides. Er schien alle Voraussetzungen mitzubringen, um Hoffnungsträger für einen Beginn von „null weg“ zu sein. Er war 29 Jahre alt, als „Dantons Tod“ 1947 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt wurde. Aber er war auch kein unbeschriebenes Blatt mehr – wie viele andere, die damals am Neubeginn beteiligt waren.

Lesen Sie auch unsere Besprechung der Premiere

Einem war damals im Direktorium der Festspiele.
Er verfasste einen Grundsatzartikel, in dem er vom „Stile nuovo“ spricht und die Komponisten nennt, die er damit verbindet: Carl Orff, Rudolf Wagner-Regeny, Boris Blacher und Werner Egk – lauter Leute mit spannungsvoller Vorgeschichte, die differenziert betrachtet werden muss. Aber alle haben Wurzeln im Deutschland vor 1945.

„Dantons Tod“ wurde noch im Krieg von der Dresdner Staatsoper in Auftrag gegeben. Warum hat sich Einem für den Stoff entschieden?
Einem hatte Büchners Drama 1939 in Berlin in einer Inszenierung von Gründgens mit Bernhard Minetti als Robespierre gesehen. Die Inszenierung galt – zumindest im Nachhinein – als oppositioneller Akt. Darüber kann man nachdenken: War es so? Oder war es eine nachträgliche Interpretation?

Weiß man, ob Einem nach der Stunde null sein Konzept geändert hat?
Es gibt keine Indizien oder Dokumente dafür. Einem hat die Oper wohl zwischen dem Sommer 1944 und dem Sommer 1946 komponiert.

Inwieweit ist „Dantons Tod“ eine Auseinandersetzung mit der NS-Zeit?
Meiner Meinung fängt die Oper vor allem die bedrängende Atmosphäre dieser Zeit ein. Einem spricht von den „vor Angst schwitzenden Wänden, die noch dazu Ohren hatten“. Diese Stimmung eines „fast unerträglichen seelischen Drucks“ sei für ihn eine Triebfeder gewesen, diese Oper zu komponieren. Ähnlich äußerte sich auch Oscar Fritz Schuh, der Regisseur der Salzburger Uraufführung.

Der von Einems Lehrer Boris Blacher eingerichtete Text besteht fast ausschließlich aus Büchner-Zitaten, ist aber trotzdem eine Interpretation des Dramas.
Einem richtete den Fokus auf die Masse. Der Chor spielt als willfähriges Volk die Hauptrolle. Hier hat Einem auch andere Texte eingefügt, etwa die erst nach Büchners Tod von Jakob Audorf verfasste „Arbeiter-Marsaillaise“ mit den Worten „Der Feind, den wir am tiefsten hassen, der uns umlagert schwarz und dicht, das ist der Unverstand der Massen, den nur des Geistes Schwert durchbricht“. Ein starker Text, der Danton und anderen Verurteilten in den Mund gelegt wird und schließlich im Geschrei der Massen untergeht.

Wie hat Einem das vertont?
Einem war ein starker Melodiker, aber der unerbittliche Ablauf des Rhythmisch-Metrischen lässt das Melodische kaum aufblühen. Mich interessiert in meinem Buch allerdings mehr, wie die Oper damals gehört wurde und was sie zu einem so großen Erfolg machte.

Wie erklären Sie sich den?
Vor allem durch die fatalistische Komponente. Einem zitiert Büchners Satz „Ich fühlte mich wie zernichtet unter dem gräßlichen Fatalismus der Geschichte“ im Vorwort zur Oper. Dieser Blickwinkel hat den Leuten damals geholfen, die Oper zu erleben.

Mit anderen Worten: Die NS-Zeit als Schicksalsschlag, gegen den man nichts machen konnte.
Ja, diese Lesart war möglich. „Es ist eine böse Zeit“, heißt es in der Oper. „Es geht einmal so. Wer kann da drüber hinaus?“ Viele teilten dieses Gefühl, einem unfassbaren Geschehen ausgeliefert gewesen zu sein. Das lässt sich auch an den Rezensionen ablesen.

Trotz des Erfolgs von „Dantons Tod“ gab es danach einen Bruch in Einems Biografie.
Einem wollte Bertolt Brecht für die Salzburger Festspiele gewinnen. Er half ihm, einen österreichischen Pass zu bekommen. Brecht schrieb zwar ein paar Seiten für einen „Salzburger Totentanz“ als neuem „Jedermann“ nieder, sah die Sache aber eher strategisch. Als Brecht nach Ost-Berlin ging, hatte sich der Kalte Krieg verschärft, und Einem flog als Buhmann aus dem Direktorium der Festspiele.

Der späte Einem hatte noch einmal einen Skandal mit der Oper „Jesus Christus Hochzeit“.
Zuvor, 1971, feierte er an der Wiener Staatsoper noch einen enormen Erfolg mit dem „Besuch der alten Dame“ nach Dürrenmatt. Möglicherweise haderte er ein wenig mit seinem Nimbus als österreichischer Staatskomponist, als er sich ins Waldviertel zurückzog und von seiner zweiten Frau Lotte Ingrisch das Libretto zu der Mysterienoper „Jesus Christus Hochzeit“ schreiben ließ. Der Text wirbelte im damals noch sehr katholischen Österreich viel Staub auf. Die Musik konnte die hochgepeitschten Erwartungen allerdings nicht einlösen.

Der frühe Einem scheint Ihnen lieber zu sein.
Da lebt und arbeitet die Musik noch mit den Spannungen der Entstehungszeit. Der späte Einem neigte zu stärkerer Harmonisierung und auch zu einem gewissen Eskapismus. In „Jesus Christus Hochzeit“ wird die Utopie besungen, „aus der Zeit zu fallen“. Gleichwohl hat er im Alter etwa gegen den Bau des Wasserkraftwerks in der Hainburger Au demonstriert und mit „Tulifant“ noch eine „grüne“ Oper komponiert.

Joachim Reiber: „Gottfried von Einem. Komponist der Stunde null“ (Kremayr & Scheriau, 256 Seiten, 24 Euro). Die Premiere von „Dantons Tod“ ist am Donnerstag, um 19.30 Uhr im Gärtnerplatztheater, Telefon 2185 1960

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