Goethes "Werther" im Residenztheater: Dichtung und Wurschtigkeit

Der junge Mann liebt ein wenig unvernünftig. Er erklärt sich nie. Ob Charlotte und ihr netter Verlobter seine Gefühle überhaupt bemerken, bleibt ungewiss. Sein weiteres Verhalten grenzt - nach gegenwärtigem Verständnis - an Stalking. Er steigert sich immer weiter in sein Außenseitertum hinein, leiht sich Pistolen und verlässt eine Welt, die für Leute wie ihn nicht geschaffen scheint.
Elsa-Sophie Jachs "theatralischer Leichtsinn"
Es gab schon viele mehr oder weniger gelungene Versuche, Goethes "Werther" für die Gegenwart zu retten. Elsa-Sophie Jachs "theatralischer Leichtsinn" im Residenztheater gehört nicht dazu. Womöglich verrät bereits der Untertitel manches über das Scheitern, weil die Aufführung weder mit dem tragischen Ernst von Werthers Gefühlen noch mit dem schreienden Unernst seiner müßigängerischen Existenz ernst macht.
Alles bleibt im Ungefähren stecken
Werther ist bei Jach zugleich noch die ebenfalls vergeblich liebende Goethe-Zeitgenossin Karoline von Günderode. Johannes Nussbaum berichtet erst über Lautsprecher mit sanft österreichischer Färbung Historisches zum Selbstmord eines Werther-Nachahmers, ehe er selbst vor einem geblümten Vorhang erscheint. Über einer Werther-Perücke trägt er die weiß-blaue Prinz-Eisenherz-Frisur der Günderode. Leider interessiert sich die an allem desinteressiert wirkende Inszenierung nicht für fluide Geschlechterrollen. Die weiblichen Gefühle verdoppeln lediglich Werthers Sensibilität, deren problematische Seite von der allzu sanften Aufführung ebenso wenig ernst genommen werden wie ihre lyrische. Und so bleibt alles im Ungefähren stecken.
Publikum wird direkt als Briefpartner angesprochen
Nussbaum spricht das Publikum als seinen Briefpartner Wilhelm an. Wenn sich nach einer guten Viertelstunde zum ersten Mal die Vergeblichkeit von Werthers Liebe erweist, erwägt er, die Aufführung abzubrechen. Wir beten für ihn, dass ihm da nicht mal eine Schulklasse ihr donnerndes "Ja!" entgegensetzt. Später schaukelt er ein bisschen und springt vom Ein-Meter-Brett auf eine Scheibe, während die Textfassung bieder und chronologisch die Briefe Werthers an Wilhelm abarbeitet.
Das Fräulein von B., die Ossian-Episode und alles weitere Ernstere fehlen. Die Zuspitzung der Krise wirkt daher läppisch. Nussbaum macht aus Werther nicht mal einen Emotionalclown, sondern nur einen Zappelphilipp, der leider auch manche Silbe verschluckt. Zu Nussbaums Gunsten nehmen wir an, dass die gegen Ende zunehmenden Rufe nach der Souffleuse ("Sach mal!") als performative Intervention inszeniert waren.
An den Seiten der Bühne spielen zwei im Stil von Dolly Parton kostümierte Rauschgoldengel auf Keyboard, Klavier und Bassklarinette manche Plätschermusik. Vor Werthers Selbstmord bläst ein Ventilator noch eine Blume auf, zuletzt wird aus romantischer Sicht die kalte bürgerliche Gesellschaft kritisiert. Was uns das alles angehen und was es mit möglicherweise ähnlich problematischen Gefühlslagen gegenwärtiger junger Menschen und ihrer sexuellen Orientierung zu tun haben könnte, darf sich der Zuschauer selber denken. Von der Bühne herab ergeht nicht mal der Anschein einer Idee.
Auch zum heiklen Thema Selbsttötung hat die Regisseurin keine Meinung. Und so ergeht von hier aus eine deutliche Warnung an alle Deutschlehrer, die ihrer Klientel mit dieser Aufführung Goethes Klassiker nahebringen möchten: Bitte nicht! Und der Leitung des Hauses möchte man raten: Monologe passen in den Marstall. Für das Residenztheater ist diese nach 100 Minuten in der Premiere freundlich akklamierte Petitesse entschieden zu leichtgewichtig.
Wieder am 29. Juni, 19. und 25. Juli im Residenztheater. Karten online und unter Telefon 0892185 1940