Kritik

"Giuditta" in der Bayerischen Staatsoper: Buhs für Schostakowitsch

Bayerische Staatsoper: Franz Lehárs "Giuditta", inszeniert von Christoph Marthaler im Nationaltheater.
Robert Braunmüller
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Das "Giuditta"-Ensemble der Bayerischen Staatsoper in einer klassischen Marthaler-Lauschposition mit Vida Mikneviciute in der Titelrolle.
Das "Giuditta"-Ensemble der Bayerischen Staatsoper in einer klassischen Marthaler-Lauschposition mit Vida Mikneviciute in der Titelrolle. © Wilfried Hösl

München - Der sogenannte Marthaler-Abend ist seit nunmehr fast 30 Jahren ein eingeführter Theater-Markenartikel. Eine Handvoll lebensuntüchtiger Melancholiker hängt in einem stets von Anna Viebrock entworfenen, leicht schäbigen Raum zwischen Schulaula und Ostblock-Kulturhaus herum. Man singt allerlei mehr oder weniger bewegende Lieder, manchmal frei ausgewählt, bisweilen auch einer literarischen oder musikalischen Vorlage folgend.

In Berlin legendär

An der Berliner Volksbühne waren die Marthaler-Abende legendär, vor 20 Jahren gelangen dem Schweizer einige herausragende Opern- und Operetten-Inszenierungen. Zuletzt wurde aus dem Stil ein Schema, wie bereits in der mäßigen Vermarthalerung von Aribert Reimanns "Lear" in der letzten Saison von Nikolaus Bachler zu beobachten war, auf die nun sein Nachfolger Serge Dorny Franz Lehárs "Giuditta" folgen ließ. Und wieder recycelte Anna Viebrock einen ihrer Bühnenbildentwürfe, diesmal den zu "44 Harmonies from Apartment House 1776" im Züricher Schauspielhaus.

Flop mit Ansage

Man ist daher versucht, von einem Flop mit Ansage zu sprechen. Bei "Lear" sorgte der Marthaler-Veteran Graham Valentine als Narr für eine halbwegs authentische Stimmung, hier sind es Olivia Grigolli, Ueli Jäggi und ein halbes Dutzend weiterer, für die Nebenfiguren und Sprechrollen zuständige Angehörige von Marthalers Theaterfamilie. Leider ist "Giuditta" aber eine Tenor- und Primadonnen-Oper, und da hapert es.

"Giuditta" im Nationaltheater.
"Giuditta" im Nationaltheater. © Wilfried Hösl

Schöne, aber kleine Stimme

Daniel Behle singt die für Richard Tauber komponierte Rolle des Octavio zwar kultiviert und mit schöner Stimme. Aber die ist zu klein, um im Nationaltheater für Tenor-Überschwang bei "Freunde, das Leben ist lebenswert" zu sorgen. Die Streicher-Nebenstimmen des Bayerischen Staatsorchesters wirkten da vom Parkett aus aufregender als der Gesang.

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Die anderen Soli muss Behle von weit hinten singen, und für die Charaktersierungskunst, mit dem die emotionale Verhärtung Octavios im Schlussbild gestaltet werden müsste, ist in Marthalers heruntertemperiertem Theater kein Raum. Unterkühlt bleibt auch die Titelfigur, die im der zweitberühmtesten Nummer ihre heißen Lippen besingt.

Triebgesteuerte Männerfantasie aus der Mottenkiste

Es ist gewiss schwer mit dieser triebgesteuerten Männerfantasie aus der Mottenkiste des Fin de siècle etwas anzufangen. Marthalers Methode liebevoller Ironie hilft jedenfalls kaum. Vida Mikneviciute singt ordentlich, aber kaum begeisternd mit einer ins Dramatische tendierenden Stimme und schreitet dazu geblümt einher.

Übetriebener Zorn

Der Zorn einiger Besucher auf die aus Litauen stammende Sopranistin wirkte allerdings übertrieben. Buhs gab's auch nach einem Stück von Dmitri Schostakowisch, was insofern erstaunlich ist, weil auch viel Atonales von Arnold Schönberg und Ernst Krenek erklang.

Dazu muss man wissen, dass die Musik der Hauptfiguren zwar erhalten blieb, das gesamte Beiwerk stark dezimiert und durch Musik von Lehár-Zeitgenossen von Béla Bartók bis Viktor Ullmann ersetzt wurde. Das ist als Kontrast bisweilen stark, aber der typische, früher so herzbewegende Marthaler-Sound singender Schauspieler wollte sich partout nicht einstellen.

Vida Mikneviciute als Giuditta.
Vida Mikneviciute als Giuditta. © Wilfried Hösl

Das Hauptproblem des Abends

Hauptproblem des Abends ist die halbherzige Dramaturgie. Marthaler war immer am Stärksten, wenn er sich dem Erzählen verweigerte. In "Giuditta" bleibt der zentrale Strang unbeschädigt erhalten. Das Buffo-Paar Kerstin Averno und Sebastian Kohlhepp darf zwar "Glück, das mir verblieb" aus Erich Wolfgang Korngolds "Die tote Stadt" singen, wurde dafür aber mit Material aus Ödön von Horváths Drama "Sladek und die schwarze Armee" abgemischt.

Auf diese Weise schärfen Marthaler und sein Mitarbeiter Malte Ubenauf zwar den schneidigen Operettenmilitarismus der Vorlage. Wer allerdings weiß, dass Lehárs Librettist Fritz Löhner-Beda in Auschwitz zu Tode geprügelt wurde, für den streifen sowohl die Darstellung des Fememords aus dem Horváth-Stück wie die SS-Männer die Sphäre der ästhetisierenden Verharmlosung.

Lichtblick Titus Engel

Ein Stärke hat der Abend und die heißt Titus Engel. Der Schweizer dirigiert die Klassische Moderne hingebungsvoll. Aber er versteht sich auch auf schmissige Märsche und eine kultivierte Operettenseligkeit Raum. Das Bayerische Staatsorchester macht hörbar, dass die 1934 an der Wiener Staatsoper uraufgeführte "musikalische Komödie" mit Blick auf die Möglichkeiten der Wiener Philharmoniker instrumentiert wurde.

"Meine Lippen, die küssen so heiß".
"Meine Lippen, die küssen so heiß". © Wilfried Hösl

Beigeschmack von Kompromiss

Trotzdem bleibt ein Beigeschmack von Kompromiss. Warum spielt man Lehárs "Giuditta", wenn man dieser Mittelmeer-Schmonzette nicht wirklich traut? Nach Barrie Koskys Berliner Operetteninszenierungen und der einen oder anderen Arbeit von Josef E. Köpplinger am Gärtnerplatz wirkt diese Dramaturgen-Etüde gegenüber der Gattung hochnäsig.

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Wer Marthaler will, sollte Marthaler vertrauen und - gern auch mit Lehár - einen richtigen Marthaler-Abend veranstalten. Derlei bräuchte man aber weder Daniel Behle noch Vida Mikneviciute, sondern singende Schauspieler. Und weil's die im Nationaltheater nicht gibt, ist es dafür der falsche Ort.

Noch am 22., 27. und 31. Dezember, 2. und 6. Januar im Nationaltheater, Karten unter www. staatsoper.de. Eine Aufzeichnung der Premiere ab 22. Januar 2022 auf staatsoper.de/tv

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  • Yeswecan am 20.12.2021 18:43 Uhr / Bewertung:

    Danke für diese differenzierte Kritik. Herr Braunmüller ist einer der wenigen Kritiker, die eine Sache noch beim Namen nennen, Respekt.Es ist immer Vorsicht geboten, wenn ein Musikwerk ob Oper oder Operette durch andere Werke“ergänzt“ wird.Da scheint der Regisseur mit dem eigentlichen Werk nicht viel anzufangen zu wissen.Warum nicht Traviata und Tristan verhackstücken?

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