Gil Mehmert und Bettina Mönch über "Hair" in der Reithalle

Das Gärtnerplatztheater spielt bis Mitte März das legendäre Hippie-Musical „Hair“ in der Reithalle
von  Robert Braunmüller
Szene aus Gil Mehmerts "Hair"-Inszenierung.
Szene aus Gil Mehmerts "Hair"-Inszenierung. © Christian Zach

Das Lebensgefühl der Peace-Generation, Rebellion gegen das Establishment, Drogenrausch, freie Liebe: Nirgendwo wurden die Ideale der Hippie-Generation so auf den Punkt gebracht wie in „Hair“, dem Broadway-Hit von 1967. Gil Mehmert inszeniert Galt MacDermots Musical für das Gärtnerplatztheater in der Reithalle, Bettina Mönch steht als Sheila auf der Bühne. Premiere ist am Donnerstag um 19.30 Uhr.

AZ: Frau Mönch, Herr Mehmert, wir drei sind zu jung, um echte Hippies gesehen zu haben. Was reizt Sie an dieser schrecklichen, haarigen Zeit?

BETTINA MÖNCH: So mit 13 oder 14 hatte ich eine totale Hippie-Phase. Milo(s) Formans Verfilmung des Musicals hat mich total in Bann gezogen. Ich bin damals in diesen Klamotten herumgelaufen und konnte die Musik vorwärts und rückwärts singen.

GIL MEHMERT: Jeder der Mitwirkenden hat ein persönliches „Hair“-Erlebnis. Das ist meines: Während meines Regiestudiums bei August Everding bekam ich ein Stipendium für New York. Ich war damals auf der Weihnachtsfeier von Tom O’Horgan – eine Riesensache mit vielen Künstlern. Wenn Andy Warhol damals noch gelebt hätte, wäre er gewiss auch da gewesen. O’Horgan hat 1968 „Hair“ für den Broadway aufbereitet hat. Er hat viel darüber erzählt, welche Drogen er damals genommen hatte und welcher Song daraus entstanden ist.

Aber echte Hippies haben Sie auch nicht mehr erlebt.

MEHMERT: Anfang der achtziger Jahre kam das bei den Bonner Ostermärschen noch einmal hoch. Etwas geordneter in dem Versuch, politisch Einfluss zu nehmen.

Was ist eigentlich ein Hippie?

MEHMERT: Ein Aussteiger, der nicht nach Gran Canaria geht, sondern in seinem Kiez bleibt. Ein Hippie stellt alles in Frage, was Norm ist und Uniform.

Welche Figur spielen Sie, Frau Mönch?

MÖNCH: Sheila, eine Studentin, das soziale und politische Gewissen der Gruppe. Sie führt ein durchaus bürgerliches Leben und lebt nicht nur im Park.

Wen gibt es da sonst noch?

Die wichtigste Figur ist Claude. Er hat einen Einberufungsbefehl nach Vietnam bekommen. Damals war jeder Amerikaner wehrpflichtig. Weil es aber so viele junge Männer gab, wurde ausgelost. Die Hippies haben damals ihre Einberufungsbescheide verbrannt. Das war ihr Zeichen: Wir gehen auf die andere Seite, auf die Seite der Flower-Macht.

Herr Mehmert, ist es nicht schwer, den Geist von damals zu beschwören?

Viele Leute, die den Film und die Musik kennen, sind von Aufführungen enttäuscht, die sich an das Original-Buch halten. Denn die Geschichte ist sehr chaotisch. Das war allerdings die Absicht der Autoren: Sie wollten eine andere Erzählweise ohne Anfang und Ende. „Hair“ war mehr ein Happening. Im Film sind viel mehr Charaktere erkennbar. In ähnlicher Weise versuche ich, den Figuren auf der Bühne mehr psychologische Tiefe zu geben.

Zum Mythos von „Hair“ gehören die Nacktszenen. Sind die noch zeitgemäß?

MEHMERT: Die gehört zu der Zeit und zu „Hair“. Es war der große Wunsch des Intendanten Josef Köpplinger: die Nacktszene muss sein – für mich eine Herausforderung, sie sinnvoll in die Handlung einzubauen. Damals bei Tom O’Horgan am Broadway haben sich alle Darsteller vor der Pause pur und unschuldig gezeigt. In meiner Inszenierung machen die Figuren das als Provokation.

Mögen Sie Nacktszenen, Frau Mönch?

MÖNCH: Ich gehe viel ins Theater und merke schon, dass Nacktheit auf der Bühne immer noch emotionalisiert.MEHMERT: Wenn es mich aus der Handlung herausholt und ich beginne, über den Inszenierungs-Vorgang nachzudenken im Sinne von „Was bringt das jetzt?“ und „Wieviel Überwindung kostet es dem Darsteller“, dann brauche ich es nicht.

Bei der ersten Aufführung in München wurden die Hippies von echten Hippies gespielt.

MEHMERT: In einer der Proben saß Bernd Redecker, ein weißhaariger Mann. Er war der Claude in der Aufführung von 1968. Das hat sein Leben geprägt. Aber er war völlig begeistert von dem, was wir heute machen – eine Revue über diese Zeit.

Frau Mönch, was spielen Sie derzeit außer der Sheila?

Als Musicaldarsteller wandert man von Engagement zu Engagement. Im Idealfall wird man gefragt. Für das Gärtnerplatztheater mache ich derzeit noch die Wiederaufnahme von „Singin’ in the Rain“. Davor war ich in „Cabaret“ in Bad Hersfeld. Parallel trete ich noch im „Kleinen Horrorladen“ an der Oper Bonn und in „Crazy for you“ in Magdeburg auf. Später im Jahr werde ich noch in Wien zu sehen sein.

Was reizt Sie an Musicals?

Man bringt alle Ausdrucksformen zusammen: Gesang, Schauspiel und Tanz. Das Genre ist unglaublich vielfältig.

Und Sie, Herr Mehmert?

Im Musical kommt alles zusammen: Oper, Rock’n Roll, Schauspiel, die große Show und Choreografie. Ich mag die Musicals, die das hergeben.

Was ist von den Hippies bis heute geblieben?

MÖNCH: Ich stelle es mir grauenhaft vor, in einen Krieg geschickt zu werden.

MEHMERT: Selten hat sich ein Krieg im Nachhinein als besser herausgestellt, als er vorher proklamiert wurde. Die Hippies haben sich außerhalb der Gesellschaft gestellt. Das hat dazu geführt, dass sich die Gesellschaft neu erfinden musste. Wenn man sieht, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Flüchtlingsfrage eigentlich eine linke Politik vertritt, spürt man, wie die Grenzen zwischen den alten Lagern verwischt sind. Alles ist möglich – eine positive Folge jener Zeit. 

Reithalle, Heßstraße 132, bis 17. 3. Karten: Telefon 2185 1960

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