Giacomo Meyerbeers "Die Hugenotten" im Opernhaus von Nürnberg

Raffinierte Historienmalerei: Das Staatstheater in der Meistersingerstadt Nürnberg rehabilitiert Giacomo Meyerbeer mit einer Aufführung der „Hugenotten“
von  Robert Braunmueller

Eine Mansarde über den Dächern von Paris, mit Blick auf die Kathedrale Notre Dame. Rechts ist ein Ofen, in der Mitte sitzt ein Maler an seiner Staffelei. Zwei Modelle stellen den Kampf zwischen Kain und Abel dar. Der Künstler ringt mit seinem Motiv, schließlich wirft er verzweifelt die Leinwand um.

Für einen Augenblick wähnt sich der Zuschauer im falschen Stück. So könnte auch der Anfang von Puccinis „La bohème“ aussehen, doch die Nürnberger Oper spielt Giacomo Meyerbeers „Les Huguenots“: ein musikalisches Historiendrama über das Massaker an den französischen Protestanten im August 1572.

Doch Tobias Kratzers Inszenierung kommt rasch auf den Punkt. Der Maler bleibt beim Thema Brudermord, wechselt aber vom biblischen zum geschichtlichen Stoff. Seine Freunde stellen für ihn die Bartholomäusnacht oder Rembrandts „Nachtwache“ als lebende Bilder nach. Dann entgleiten dem Künstler die Figuren. Sie verselbständigen sich zu einem Albtraum, der auch gegenwärtige Religionskriege in einer Videoeinblendung einschließt.

Gesteigertes Tempo

Hin und wieder ächzt die Vorlage im Korsett der Grundidee. Wer die französisch gesungene Aufführung unvorbereitet besucht, kann Realität und Vision nur schwer auseinander halten, weil die Inszenierung eine selten gespielte Oper als bekannt voraussetzt. Doch Kratzers Einfall erlaubt es, prächtige historische Kostüme ohne Peinlichkeit auf die Bühne zu bringen (Ausstattung: Rainer Sellmaier). Und die Tableaux dieser 1836 in Paris uraufgeführten Grand Opera stehen ohnehin der Historienmalerei nahe.

Viele Wiederbelebungsversuche dieser einst berühmten Oper scheiterten an der Strichfassung. Die Nürnberger machen es richtig: Sie kürzen diese überbordende Partitur nicht auf Verdi-Länge zusammen. Die revolutionäre Zeit-Dramaturgie dieser Oper bleibt erhalten: Das dramatische Tempo steigert sich im Staatstheater am Richard-Wagner-Platz nach zwei friedlichen Akten über die Verschwörung in der Schwerterweihe zum illusionslos-brutalen Schlussbild ohne jede musikalische Versöhnung.

Exzellente Sänger

Meyerbeers Musik stellt höchste virtuose Ansprüche an die Sänger, mit denen das Ensemble des Nürnberger Theaters erstaunlich mühelos klarkommt. Leah Gordon erinnert als Margarethe von Valois an Joan Sutherland und singt diese mörderische Partie fast genau so gut. Für den Raoul braucht es lyrische wie dramatische Qualitäten: Uwe Stickert hat sie. Der famose Bassist Randall Jakobsh kommt mit seiner schwarzen, kernigen Stimme dem Ideal eines Marcel näher als berühmtere Vorgänger auf Platten.

Auch kleinste Rollen werden exzellent gesungen. Die Staatsphilharmonie Nürnberg spielt bisweilen zu laut. Aber dem Dirigenten Guido Johannes Rumstadt gelingt es, den französischen Mischstil der Musik zu treffen und ihn nicht mit italienischen oder gar deutschen Bleigewichten zu beschweren. Und was man da zu hören bekommt, verblüfft: Wagner, der Meyerbeers Ruf durch perfide Häme unwiderruflich geschädigt hat, bekam dessen Musik bis zum Karfreitagszauber im „Parsifal“ offenbar nicht aus dem Kopf. Da gibt es in der Einsegnung des tragischen Liebespaars durch den alten Hugenotten Marcel im fünften Akt verblüffende Anklänge. Auch Giuseppe Verdi hat sich im „Rataplan“ seiner „Macht des Schicksals“ schamlos im dritten Akt der „Hugenotten“ bedient.

Tod ohne Verklärung

Dennoch: An Verdi und Wagner sollte man besser nicht denken. Meyerbeer gehörte zur Generation Rossinis. Er steigerte dessen Klangsprache in ungeahnte Extreme, verband sie mit der ambitionierten Orchestrierung der deutschen Romantik und setzte ein politisches Ideendrama obendrauf. Das sprengt den drei Akte lang gewahrten Rahmen des aristokratischen Opern-Vergnügens, wenn das Liebespaar zuletzt unverklärt im katholischen Kugelhagel umkommt und Metzel-Chöre gesungen werden.

Am Ende ist der Maler (Martin Berner) mit seinen Figuren fertig: Massenmord lässt sich gegenständlich nicht darstellen. Ihm bleibt nur Action Painting – er kippt rote Farbe auf die Leinwand und präsentiert sie seiner verblüfften Mäzenin. Die war fast so beeindruckt wie das Nürnberger Publikum, das Meyerbeer kurz nach elf wie Wagner feierte. Und gleich folgt der nächste Streich einer Grand Opera: Die Münchner Opernfestspiele bringen am 28. Juli Rossini „Guillaume Tell“ – ein nicht minder schwerer Brocken.

Wieder am 22. und 26. Juni, 2., 14., 20. Juli, Telefon 0180-5-231-600

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