Kritik

"Get Lost" im Backstage: Der Stoff, auf den Teenager fliegen?

Die Bayerische Staatsoper und die Schauburg in München verführen ein junges Publikum zur Alten Musik.
von  Anne Fritsch
"Get Lost - Eine Reise durch die Nacht" im Backstage.
"Get Lost - Eine Reise durch die Nacht" im Backstage. © Wilfried Hösl

Barockmusik und antike Sagen? Klingt erstmal nicht nach dem Stoff, auf den Teenager fliegen. Die Bayerische Staatsoper und die Schauburg haben das Experiment gewagt und gemeinsam im Backstage ein Musiktheaterstück für Jugendliche auf die Bühne gebracht – beziehungsweise: in den Club.

Auf drei Seiten sitzt das Publikum um die Tanzfläche, auf der vierten positionieren sich fünf Musikerinnen und Musiker. Mit ihren Glitzer-Barock-Frisuren-Hauben wirken sie wie von einem anderen Stern. Genau wie die Sängerin, die sich in ihrem fulminanten Kostüm durch das grüne Vorhang-Loch schlängelt, auf die runde Plattform in der Mitte schreitet und virtuos Monteverdi singt.

"Was haben die geraucht": Fremde Musik, fremde Kostüme

"Get Lost – Eine Odyssee durch die Nacht" spielt auf vielen Ebenen mit dem Gefühl der Verlorenheit, das wohl auch die griechischen Helden rund um Odysseus kannten. Sie ließen sich vom Gesang der Sirenen verführen – und genau auf diesen Effekt bauen auch Regisseur Daniel Pfluger und der Musikalische Leiter Enik.

Das Stück mixt Barock-Musik mit elektronischen Sounds.
Das Stück mixt Barock-Musik mit elektronischen Sounds. © Wilfried Hösl

Sie konfrontieren ihr jugendliches Publikum mit einer Musik, die ihm wohl genauso fremd erscheint wie die überbordenden Kostüme, die Florian Buder für ein Quartett aus dem Opernstudio der Staatsoper (Jasmin Delfs, Thomas Mole, Granit Musliu und Emily Sierra) entworfen hat.

"Was haben die geraucht, Digga?", kommentiert auch gleich ein Zuschauer. Diese optisch wie akustisch fremdartige Welt also trifft auf das Hier und Jetzt – und auf vier junge Leute, die sich in eine ihrer ersten Partynächte stürzen.

Barockmusik und elektronische Sounds

Gespielt werden diese von Janosch Fries, Lucia Schierenbeck, Helene Schmitt und Michael Schröder aus dem Ensemble der Schauburg. Pfluger und Enik lassen die verschiedenen Elemente nebeneinander stehen, bis aus ihnen schließlich etwas Neues erwächst. Die Distanz zur Musik und den erwachsenen Spielern wird schließlich erstaunlicherweise ausgerechnet durch die Musik Claudio Monteverdis überwunden.

Das Publikum ist zunächst verwirrt. Und dann begeistert.
Das Publikum ist zunächst verwirrt. Und dann begeistert. © Wilfried Hösl

Gesungen werden Teile aus "L'Orfeo" und dem Achten Madrigalbuch. Und wenn Lucia Schierenbeck nach einem Tanz mit einem Sänger strahlend aufs zentrale Podest tritt, ist da plötzlich eine Magie im Raum, die auch die Unwilligsten im Publikum verstummen lässt.

Die vier Figuren verschwinden irgendwann vorübergehend ins Virtuelle, das Publikum folgt den Musiker*innen derweil zwischen Palmen hindurch hinaus in eine luftig-grüne Oase, in der sich die Barockmusik mit elektronischen Sounds vermengt. Über QR-Codes kann man die Erlebnisse der Figuren in animierten Videos verfolgen. Sie treiben durch die Nacht, stürzen ab, stehen wieder auf.

"Get lost" ist nicht das, was erwartet wurde

Das Publikum streunt durch den Raum, macht hier ein Selfie mit einem Musiker, da ein Bild aus dem Fotoautomaten. Auf einmal wird alles leicht, alles eins. Analoges und Virtuelles, Spiel und Leben. Was hier passiert, ist überraschend und aufregend, ja: verführerisch. Die Texte der Spieler decken sich auf einmal mit dem Erleben des Publikums: "Ich weiß nicht, was ich erwartet habe." – "Jedenfalls nicht das."

Wie bei jeder Partynacht dauert es ein wenig, bis diese Aufführung Fahrt aufnimmt. Dann aber nimmt sie einen mit, voll und ganz. Spätestens wenn alle zurückkehren in die Halle, wenn sich die Tanzfläche füllt, ist klar: Dieses Theater ist ein Fest. Eine Odyssee durch die Nacht.

Wieder am 14., 16. und 17. Juni im Backstage (Donnersberger Brücke), Karten: staatsoper.de

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