"Geschichte vom Soldaten" im Livestream: Dagmar Manzel in Höchstform
München - Nach der originalen Partitur müsste man sie "Vorleserin" nennen, aber Dagmar Manzel ist in dieser Produktion sehr viel mehr. Die Schauspielerin erzählt die "Geschichte vom Soldaten" nicht nur, sondern spielt auf der Bühne der Bayerischen Staatsoper mit ihren schier unendlichen stimmlichen und gestischen Mitteln sämtliche Rollen: zackig humorvoll den Soldaten, der seine Geige an den Teufel verkauft, den Leibhaftigen selbst als alte Frau mit gekonnt osteuropäischem Zungenschlag, später dann den König sogar mit imposanter Männerstimme. Akrobatisch jongliert sie die Figuren, die sich gegenseitig sogar ins Wort zu fallen scheinen. Und dann ruft auch noch ein Bankangestellter auf einem improvisierten Handtelefon an. Köstlich.
"Geschichte vom Soldaten": Wanderbühne des Musiktheaters
Den Schluck Rotwein, den sie sich in der kurzen Pause genehmigt, hat Dagmar Manzel also wahrlich verdient. Immerhin erschafft sie im Alleingang eine ganze Inszenierung. Nichts könnte diesem Stück angemessener sein. Nach den Wirren der russischen Revolution war Igor Strawinsky in Schwierigkeiten geraten. Große Ballette konnten nicht aufgeführt werden. So kam er zusammen mit seinem Dichter Charles-Ferdinand Ramuz auf die Idee einer Art Wanderbühne, eines transportablen Musiktheaters, zu dem man nicht einmal launische Sänger braucht, sondern bloß sieben Musiker, die noch dazu auf gebräuchlichen Instrumenten spielen.
Dirigent Vladimir Jurowski meistert komplizierte Taktwechsel
Wer hätte ahnen können, dass sich dieses 1918 uraufgeführte Werk über hundert Jahre später, im Corona-Winter mit seinen begrenzten Aufführungsmöglichkeiten, als derart praktikabel erweisen würde?
Einen Dirigenten hatte Strawinsky freilich eingeplant: Die komplizierten Taktwechsel sind ohne Koordination nur schwer zu bewältigen. Vladimir Jurowski, der im Herbst die Nachfolge Kirill Petrenkos als Generalmusikdirektor der Staatsoper antreten wird, leitet die sieben Solisten des Bayerischen Staatsorchesters mit so exakter Nonchalance, dass sie geradezu ins Swingen geraten.
Das fingerfertig tirilierende Kornett von Andreas Öttl und die rhythmisch federnde Geige von David Schultheiß seien stellvertretend hervorgehoben. Zu allem Überfluss gibt es an dramaturgischen Knotenpunkte noch tänzerische Illustrationen in der Choreographie von Norbert Graf: verführerische, phantastische, groteske Drehungen und Verrenkungen dreier Ballettsolisten, wenn der Soldat für die Prinzessin Geige spielt und am Schluss der Teufel dann doch den Sieg davon trägt. Die Staatsoper kann Pandemiebetrieb. Dass das aber immer nur eine Notlösung darstellt, darüber kann selbst eine so exzellente Produktion nicht hinwegtäuschen.
Auf staatsoper.tv ist das Video kostenpflichtig abrufbar.