Geoffrey Paterson über Menottis Oper "The Consul"
Kafka trifft Puccini am Broadway: Geoffrey Paterson über die Oper "The Consul" von Gian Carlo Menotti
MÜNCHEN - Ältere Opernbesucher erinnern sich an seine Inszenierung von Mozarts „Così fan tutte“ in der Ära Sawallisch. Aber Gian Carlo Menotti war hauptberuflich Komponist. Fans von Inge Borkh kennen vielleicht die Arie „Mein Kind ist tot“ aus seiner Oper „The Consul“ von 1950. Sie ist ab heute komplett mit den jungen Sängerinnen und Sängern des Opernstudios der Staatsoper im Cuvilliéstheater zu sehen. Geoffrey Paterson dirigiert das Münchener Kammerorchester.
AZ: Mr. Paterson, wie hört sich die Musik von Herrn Menotti an?
GEOFFREY PATERSON: Es gibt keinen Menotti-Stil. Er hat ein Terzett wie im „Rosenkavalier“ komponiert. Im Quintett blitzt Mahlers Erste auf. Dann ist die Musik so brutal wie der „Danse sacrale“ in Strawinskys „Le sacre du printemps“, später neoklassizistisch wie Strawinskys „Pulcinella“. Anders erinnert an Prokofjew.
Alles geklaut also.
Man würde nie sagen: Das klingt nach Menotti. Natürlich ist das eine Schwäche. Aber jeder Takt passt exakt zur dramatischen Situation. Und das verwandelt den Eklektizismus auf der Bühne in eine Stärke.
Den Text hat Menotti auch selbst geschrieben. Der linke Komponist Luigi Nono sprach von „antisowjetischer Propaganda“.
„The Consul“ spielt in einem totalitären Staat. John Sorel kämpft im Untergrund. Für seine politischen Überzeugungen ist er bereit, seine Frau Magda, das gemeinsame Kind und seine Mutter zu verlassen. Magda will John ins Exil folgen und beantragt für sich und ihre Familie auf dem Konsulat die Ausreise.
Bis jetzt klingt es noch, als könnte Nono recht doch haben.
In einem Propagandastück würde das Konsulat für den freien Westen stehen. Aber das ist nicht so. Menotti verweigert ein moralisches Urteil. Wir erfahren nie, für welche politischen Ziele Sorel kämpft.
Ist er ein Guter oder ein Böser?
Wenn es einen Schurken in dieser Oper gibt, dann ist es der Konsul, der nie auftritt. Seine Sekretärin versucht, alle Visa-Angelegenheiten korrekt zu machen. Sie erzeugt aber damit nur eine brutale Rücksichtslosigkeit. Sie tut mir fast leid.
Das erinnert an Kafka.
Menotti beschreibt eine universelle menschliche Erfahrung. Außerdem gibt es Szenen, die überhaupt nicht in ein politisches Stück passen, wie der Auftritt des Zauberers am Ende des ersten Akts. Ohnehin meine ich, dass es sich bei „The Consul“ eher um eine schwarze Komödie mit Elementen eines Thrillers handelt. Und keinesfalls um Propaganda, höchstens gegen Bürokratie.
Was hat Menotti vor und nach der Uraufführung im Jahr 1950 komponiert?
Er stammte aus Norditalien, studierte aber in den USA, wo er blieb. Seine frühe komische Oper „Amelia geht zum Ball“ war 1937 ein großer Erfolg. „Amahl und die nächtlichen Besucher“ ist bis heute in den USA eine beliebte Weihnachtsoper. 1958 gründete er das „Festival dei due Mondi“ in Spoleto – mit einer Filiale in Charleston. Menotti hat viel inszeniert, und er wurde ungehalten, wenn die pedantischen Szenenanweisungen seiner Opern nicht beachtet wurden.
Warum eignet sich diese Oper für das Opernstudio?
Es ist ein großes Ensemblestück. Die Mitwirkenden sind keine Studenten mehr, aber sie müssen noch mehr Bühnenerfahrung gewinnen.
Zur Orchesterbesetzung der Oper zählt auch ein Plattenspieler. Was hat es damit auf sich?
Es gibt einige Szenen, die in einem Café spielen. Da ist ein französisches Chanson zu hören, von dem ich vermute, dass es Menotti selbst komponiert hat. Wir haben uns allerdings entschlossen, diese Aufnahme zu ersetzen – wie, das soll eine Überraschung bleiben. Bei Menotti schafft die Platte die realistische Atmosphäre eines Straßencafés. Wir wollen auf etwas mehr Halluzinatorisches hinaus.
Warum beschäftigt Menotti nur ein Kammerorchester?
„The Consul“ ist zwar eine Oper, sie wurde aber für den Broadway komponiert. In den Theatern dort war der Orchestergraben nicht so groß. Es ist Unterhaltungstheater, ein Melodrama, für das Menotti 1951 den Pulitzer-Preis für Musik bekam. Die Oper ist im besten Sinn populistisch komponiert: Wenn man eine Steigerung erwartet, kommt auch eine. Wenn der Zuschauer gerührt werden soll, komponiert Menotti wie Puccini. Der Schluss klingt wie der Abspann eines Hollywood-Films. Ein anderer Komponist hätte da mehr auf das Tragische gezielt.
Premiere am 28. März 2017, 19 Uhr im Cuvilliéstheater, ausverkauft. Auch am 30., 31. März, 2., 7. und 9. April. Karten unter Telefon 21 85 19 20