Gemeinsam durch die Krisen: Max Lindemann über "Früchte des Zorns"

Zur Adventszeit präsentiert das Volkstheater noch einen ganz schweren Brocken Weltliteratur. John Steinbeck schilderte in seinem 1939 erschienen Roman "Früchte des Zorns" am Beispiel einer Landarbeiterfamilie die Auswirkungen einer Dürrekatastrophe im Mittelwesten und eine Flucht weiter westwärts in die Arme skrupelloser Großgrundbesitzer. Trotz heftiger Anfeindungen von seiten der Politik und des Klerus erhielt das aufrüttelnde Buch den Pulitzer-Preis und 1962 den Nobelpreis. John Fords Verfilmung aus dem Jahr 1940 wurde mit zwei Oscars ausgezeichnet. Regisseur Max Lindemann inszenierte eine eigene Bühnenfassung am Volkstheater, die heute Premiere hat.
AZ: Herr Lindemann, Sie geben mit "Früchte des Zorns" Ihr Debüt am Münchner Volkstheater. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Max Lindemann: Ich kenne Leute hier im Ensemble von früher und die Kontakte sind erhalten geblieben. Durch sie war Christian Stückl auf meine Arbeiten aufmerksam gemacht worden. Als er mich anrief, hatte ich gerade Zeit dafür.

Ihre Theaterlaufbahn begann in Dortmund und zur Zeit leben Sie in Berlin. Wie kommen Sie mit den Münchnern zurecht?
Sehr gut. Die Großeltern meines Sohns wohnen hier und für mich ist diese Stadt nicht so weit entfernt. Mir ist München durchaus vertraut.
Es gibt eine Bühnenadaption des Romans vom US-Theaterregisseur Frank Galati aus dem Jahr 1990. Haben Sie da hineingeschaut?
Das habe ich tatsächlich nicht. Wir haben unsere eigene Fassung gemacht. Der Dramaturg Johannes Nölting, die Dramaturgin Anouk Kesou und ich haben das gemeinsam entwickelt und bis zum Ende der Proben immer weiter um- und ausgearbeitet. Wir haben dabei nicht auf andere Quellen geschaut, sondern auf das, was uns gerade jetzt an dem Stoff interessiert.

Die Taschenbuchausgabe des Romans hat 530 Seiten und die Übertragung in ein anderes Medium geht nicht ohne Verluste. Worauf wollten Sie nicht verzichten?
Das sind natürlich die Hauptkonflikte in der Familie. Wir legten den Fokus stark auf die Gemeinschaft und die Solidarität, was unserer Meinung nach in Zeiten immer größer werdender Krisen wichtiger wird. Angesichts der in den Medien am Horizont aufscheinenden Krisen war es uns wichtig, wie es der Gemeinschaft geht, was es mit dem Zusammenhalt auf sich hat und was Solidarität bedeutet. Was bedeutet es eigentlich, sich umeinander zu kümmern und kümmere ich mich um jemanden, den ich gar nicht kenne und mit dem ich vielleicht nicht einmal die Sprache teile?

Die Krisen sind hier Wirtschaftskollaps und Klimakatastrophe, Flüchtlingselend und Fremdenfeindlichkeit sowie auch ganz allgemein Kapitalismus und Ausbeutung. Das liest sich wie die Topthemen einer heutigen Nachrichtensendung.
Total! Das Interessante an diesem doch recht alten Buch ist auch, dass John Steinbeck vorgeworfen wurde, den amerikanischen Traum zu kritisieren und den Zusammenhalt so weit in den Fokus gerückt zu haben. Was damals an Themen kulminierte, wiederholt sich heute. Es ist wahnsinnig, wie akkurat bestimmte Mechanismen genau so funktionieren wie damals.

Ihre Regiearbeit davor war am Berliner Ensemble "Der Tod eines Handlungsreisenden" von Arthur Miller. Auch in diesem Stück geht es um den amerikanischen Traum und wie man an ihm scheitert, sogar scheitern muss. Ist das Zufall oder Ihr Thema?
Es ist natürlich Zufall. Aber es gibt im "Tod eines Handlungsreisenden" eine Stelle, wo sich der tote Bruder von Willy Loman auf seinen Vater bezieht, der als Handwerker durchs Land gezogen ist. Man könnte auf den Gedanken kommen, dass "Früchte des Zorns" die Vorgeschichte der Familie Loman ist. Diese Überschneidung hat mich sehr interessiert. Und grundsätzlich interessiert mich das Thema "Kleine Leute auf der großen Bühne". Das ist für mich ein sehr wichtiger Vorgang. Als nächstes werde ich im Volkstheater Rostock "Die Ratten" von Gerhart Hauptmann inszenieren und mich in dieser Spielzeit vollständig diesem Komplex beschäftigen.
Ist das Ihre Arme-Leute-Trilogie?
Ich würde das nicht so stigmatisieren. Es geht um Leute in prekären Verhältnissen, die sich durch das Leben schlagen müssen. Dabei ist es mir wichtig, dialektische Figuren zu schaffen, die man von allen Seiten betrachten und nachvollziehen kann, um Mechanismen des Scheiterns aufzuzeigen.
Der Roman ist auch eine Road Novel, deren Handlung sich von Oklahoma nach Kalifornien bewegt. Wie bekommen Sie diese Geografie auf die Bühne?
Es gibt eine Modellebene, bei der Miniaturen abgefilmt werden. Gleichzeitig gibt es eine runde Spielfläche, in deren Mitte ein Riss ist, aus dem unterschiedliche Elemente fahren können. Die Ortswechsel werden vollzogen durch die Kombination von abgefilmten Elementen auf der Miniaturebene, die dann lebensecht von der Decke oder aus dem Boden erscheinen.
Der Riss, von dem Sie sprechen, scheint auf den ersten Fotos, die das Volkstheater vom Bühnenbild veröffentlichte, geradezu eine Schlucht zu sein.
Ja. Das ist richtig tief und man muss zwei Meter Abstand halten. Wenn man runter fällt, kann man sich schwer verletzen.
Münchner Volkstheater, Premiere heute, 19.30 Uhr, weitere Vorstellungen 10., 11., 23. Dezember, 4., 12. Januar, 19.30 Uhr, Karten unter Telefon 5234655