"Future Sounds": Mal anders auf die Pauke hauen

Um 1970 schufen deutsche Bands völlig neue Sounds. Wie dieser "Krautrock" entstand und was er auslöste, erklären die Künstler, Zeitgenossen und Fans in einem tollen Buch
Dominik Petzold |
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Die Band Guru Guru bei ihrem 50-jährigen Jubiläum im Jahr 2018
Die Band Guru Guru bei ihrem 50-jährigen Jubiläum im Jahr 2018 © imago/Carsten Thesing

München - Immer wieder fragten in den frühen Siebzigern Kunden der Londoner Mailorder-Firma Virgin nach seltsamen deutschen Bands. Simon Draper, der Mitarbeiter und Cousin des Chefs - und heutigen Weltraumeroberers - Richard Branson, kannte keine dieser Bands und hörte sich durch ihre Platten.

So entstand "Krautrock"

Weil er nicht wusste, in welchem Genre er sie in seinen Zeitungsanzeigen einordnen sollte, erfand er einfach einen Sammelbegriff für die Musik dieser Deutschen, die in England noch immer gern als "Krauts" bezeichnet wurden: Krautrock.

Dass er das Wort wirklich allein in die Welt gebracht hat, sehen manche anders, wie Draper zugibt, und nach fünfzig Jahren lässt es sich kaum mehr verifizieren. Für die Erfindung des Begriffs wäre aber zweifellos jeder Marketing-Preis der Welt gerechtfertigt. Denn unter dem Label Krautrock kauft seit einem halben Jahrhundert ein treues Nischenpublikum aus aller Welt die heterogene Musik von deutschen Siebziger-Jahre-Bands, die in vielen Fällen überhaupt nichts gemein hatten - mit einer Ausnahme: Mit dem Begriff Krautrock wollten sie fast alle nichts zu tun haben.

Christoph Dallach veröffentlicht "Future Sounds. Wie ein paar Krautrocker die Popwelt revolutionierten"

Das kann man in Christoph Dallachs großartigem Buch "Future Sounds. Wie ein paar Krautrocker die Popwelt revolutionierten" nachlesen. Hier erfährt man auch sonst alles, was man über das Phänomen Krautrock wissen muss, und das auf äußerst lesenswerte Art: Der renommierte Musikjournalist hat mit vielen der vermeintlichen Krautrocker gesprochen - darunter Mitglieder von Can, Tangerine Dream, Amon Düül, Neu!, Faust, Guru Guru und Kraftwerk -, außerdem mit Leuten aus der Musikbranche und prominenten Fans wie Brian Eno, Iggy Pop, Paul Weller und Julian Cope. Die Statements hat er kompiliert und in einen perfekten Lesefluss gebracht.

Bei allen Unterschieden einte die Musiker viel mehr, als dass sie aus Deutschland, diesem exotischen Popland, kamen. Sie ignorierten die anglo-amerikanische Pop- und Rockmusik, die die Welt beherrschte, und schufen eine Musik fernab von gängigen Sounds und Songstrukturen.

Michael Rother hörte gar keine Musik mehr, um originell zu bleiben

Einige der Krautrocker hatten ihr Wurzeln in der klassischen Rockmusik und streiften diese ab, andere kamen vom Free Jazz oder der Avantgarde, Holger Czukay etwa, der erst durchs Musikabitur fiel, dann bei Karlheinz Stockhausen studierte und schließlich mit Irmin Schmidt Can gründete.

Manche Krautrocker hatten bewusst den Anspruch, eine neue deutsche Musik zu schaffen, nachdem die künstlerischen Traditionen in den zwölf Jahren des Dritten Reichs abgerissen waren und danach für ihr Empfinden Tristesse herrschte. Michael Rother, der kurz bei Kraftwerk spielte und dann Neu! gründete, ging in seinem Drang, etwas Neues zu schaffen, sogar soweit, sich ab 1970 gar keine Musik mehr anzuhören: "Ich wollte alles Vorangegangene vergessen." Das Buch "Future Sounds" sorgt für den gegenteiligen Impuls: Es macht große Lust, diese Musik zu hören.


Christoph Dallach, "Future Sounds. Wie ein paar Krautrocker die Popwelt revolutionierten" (Suhrkamp, 511 Seiten, 18 Euro)

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