"Frühlings Erwachen" von Wedekind - die AZ-Kritik
Jan Friedrich inszeniert Frank Wedekinds „Frühlings Erwachen“ als Maskenspiel in der Schauburg
Wer kann sich nicht an Schulstunden erinnern, in denen Körper und Hirn erstarrt schienen, weil eben nicht jeder Unterricht progressiv und einnehmend war? Dabei konnte man sich durchaus wie eine Puppe fühlen, als fremdbestimmtes Objekt eines unaufhörlichen Lehrschwalls. Dem entsprechend sitzen sie auf der Bühne der Schauburg: Schauspieler in Babymasken in einem Klassenzimmer, regungslos, während auf der Soundspur die Stimme eines Mathematiklehrers von x-Funktionen und Wurzeln palavert, ohne dass sein Redefluss von einem Kontakt mit den Schülern unterbrochen wird.
Als „Kindertragödie“ hat Frank Wedekind sein Stück „Frühlings Erwachen“ von 1891 bezeichnet, womit er das Drama auf die Seite der Kinder legte, die mit den erwachenden Trieben hadern, weil sie diesbezüglich auch keine Anleitung bekommen, sondern vielmehr Angst vor ihren verknöcherten, strafenden Eltern haben. Was nicht verhindert, dass sie sich sexuell ausprobieren. Im Falle von Wendla, die ihre Zuneigung zum Mitschüler Melchior entdeckt, führt das sogar zur Schwangerschaft.
Wedekind im Puppenheim
Regisseur Jan Friedrich verstärkt in der Schauburg die Karikaturhaftigkeit der Figuren, wie sie durchaus in der Vorlage steckt, zu einem ins Mechanische gehenden Maskenspiel. Die Bühne von Alexandre Corazzola ist dazu ein hübsches, mehrfach unterteiltes Puppenhaus. Dazu das Bühnen-Off als Schulhof, wo die Kids miteinander spielen, auch im erotischen Sinne. Die Szenen im moralischen Abseits werden per Video auf die Wände und einen herabfahrbaren, hölzernen Vorhang projiziert.
Was im Theater an Darstellungsformen möglich ist, bringt der Regisseur dem jungen Publikum – die Inszenierung ist empfohlen ab 14 Jahre – nahe. Die Figuren rückt er jedoch durch die Masken und andere Verfremdungseffekte in weite Distanz. Wenn Wendla (Helene Schmitt) und ihre Mutter sich im bürgerlichen Dekor um die Länge von Wendlas Kleids streiten, bewegt sich der maskierte David Benito Garcia als Mutter nicht nur puppenhaft steif, sondern einer der Darsteller spricht ihre Worte mit enervierender Fistelstimme ein, was die Künstlichkeit und klischeehafte Strenge der Figur betont.
So stecken die Charaktere nicht nur fest im Korsett des Biedermeiers, sondern die ganze Inszenierung in der Zwangsjacke eines Konzepts, das besonders am Anfang die Identifikation, auch mit den jungen Protagonisten, verhindert – ein verkopfter Start, von dem sich der gesamte Abend nicht erholt, auch wenn die Larven zunehmend verschwinden, je mehr die triebhafte Natur der Jugend sich Bahn bricht.
Sex als Groteske
Dass ein Vierzehnjähriger seine Dosis Porno per Internet schon längst intus hat, davon geht Friedrich aus, weshalb er etwa Schlagsahne verspritzen lässt. David Benito Garcia darf als maskiertes Hänschen einen falschen Penis aus der Hose zaubern, während er, im Text, eine Reproduktion der Venus von Palma Vecchio anbetet. Beim Masturbieren verlängert sich der Schwengel des Bengels gar zu lustig.
Sexualität wird so zur lachhaften Groteske; Regisseur Friedrich verspielt das Menschliche zu Gunsten einer Maskenshow mit einigen schönen Bildideen und fließenden Szenenübergängen. Da haben die Kinder schon die Regenschirme aufgespannt, wenn Schüler Moritz sich vor ihnen zufällig erschießt, woraufhin es nur noch vom Bühnenhimmel regnen muss, um die Beerdigungsszene perfekt zu machen.
Der engagiert spielende Janosch Fries lässt sich dann als Melchior vom toten Moritz nicht ins Jenseits locken, so schön farbig fluoreszierend die Skelette auch aussehen mögen, sondern Anna Mattes verführt ihn als Vermummter Herr zum Weiterleben. Wobei sie missverständlich das Theater verlassen: War nicht die Bühne der Ort, wo das Leben sich in all seiner Ambivalenz spiegeln sollte? Michael Stadler
Große Burg in der Schauburg, wieder am 5.2., 11 Uhr; 4. Februar, 18 Uhr; Karten unter Telefon 233 371-55
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