Kritik

Überzeugend: Nora Schlockers Inszenierung von Schillers "Maria Stuart" im Residenztheater

Das Publikum entscheidet, wer Maria Stuart spielt.
Mathias Hejny |
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Pia Händler (hinten) und Lisa Stiegler sind wahlweise Elisabeth oder Maria Stuart in Schillers Drama.
Pia Händler (hinten) und Lisa Stiegler sind wahlweise Elisabeth oder Maria Stuart in Schillers Drama. © Sandra Then

Abzählreime findet man nicht im dramatischen Werk von Friedrich Schiller. Doch Regisseurin Nora Schlocker erfand für "Maria Stuart" einen Prolog, bei dem die beiden Queens zusammen wie Siamesische Zwillinge auf die Bühne taumeln. Mortimer (Vincent zur Linden) will das Los entscheiden lassen, wer wer ist: "Ene mene miste, es rappelt in der Kiste, ene mene mu, und raus bist du." Die Rollenvergabe wird dann aber doch ans Volk im Parkett delegiert.

Ein befragter Zuschauer beschloss am Premierenabend, Pia Händler sei Elisabeth, Königin von England. Lisa Stiegler spielte daher in dieser Vorstellung die Titelfigur, Königin von Schottland. Die katholische Herrscherin hatte vor 19 Jahren bei ihrer protestantischen Halbschwester Asyl gesucht, aber statt dessen wurde sie verhaftet. Elisabeth fürchtet, Maria könne eine Verschwörung gegen ihre Regentschaft anzetteln.

Gleichzeitig zögert sie, die verhängte Todesstrafe zu vollstrecken. Beim einzigen Treffen der Königinnen kommt es allerdings zu einem Attentat auf Elisabeth. Sie überlebt zwar unverletzt, aber die fälschlicherweise verdächtigte Maria stirbt auf dem Schafott. Händler und Stiegler studierten beide Rollen und nehmen erst nach dem Zuschauervotum ihre Positionen ein: Elisabeth verschwindet zunächst und die Szene gehört der Gefangenen.

Maria  Stuart will Elisabeth sprechen

In ihrem grandios klar und doch effektvoll eingerichteten Bühnenraum markiert Irina Schicketanz den Kerker mit einer Mauer aus verzerrendem Spiegel. Hier ringt Maria Stuart um ihre Selbstachtung: "Man kann uns niedrig behandeln, nicht erniedrigen", erklärt sie Paulet (Thomas Reisinger), der sie bewacht und den sie bittet, ein Gespräch mit Elisabeth zu vermitteln.

Von der langen Gefangenschaft gezeichnet, hat sie die Kontrolle über ihre Motorik verloren, rudert verkrampft mit den Armen und manche Sätze presst sie grimassierend heraus. Aber an Elisabeth ist die Macht und der langjährige Kampf und ihren Erhalt, den sie als unentrinnbares Hamsterrad erlebt, gleichfalls nicht ohne Spuren geblieben.

 

Die Majestätinnen tauschen die Halskrausen 

Auch ihr Körper schwächelt, sie krächzt manchmal um Atem ringend und oft muss sie auf der steilen Rampe, die zum Thron in der Tiefe des Raums führt, von ihrer Entourage gestützt werden.

Bei der durch eine riesige Spiegelwand beidseitig einsehbaren Schlüsselszene - der Begegnung der so gegensätzlichen Majestätinnen im Park - tauschen sie ihre königlichen Halskrausen. Beide sind erleichtert für einen Moment, die andere zu sein. Ein beeindruckend schlichtes Bild, mit dem Nora Schlocker und Hausregisseur Alexander Eisenacher, der für die erkrankte Kollegin die Proben in der Schlussphase übernommen hatte, brisante Fragen nach der Zufälligkeit des Seins stellen.

Was wäre, wenn die Familiengeschichten der Tudors und der Stuarts ein wenig anders verlaufen wären? Wie würde sich Maria verhalten, wäre sie an Elisabeths Stelle? Welchen Handlungsspielraum haben die Mächtigen überhaupt innerhalb ihrer Strukturen? Wie austauschbar sind die Herrschenden und wie zufällig wird die Weltgeschichte damit?

Die Hofschranzen sind austauschbar

Sind die beiden Royals trotz aller erstaunlichen Ähnlichkeiten gut zu unterscheiden, scheinen die Hofschranzen nicht nur in ihren die höfische Fashion des 16. Jahrhunderts karikierenden Kostümen (Jana Findeklee, Joki Tewes) austauschbar zu sein. Die Regie verordnete Moritz Treuenfels (Leicester), Oliver Stokowski (Shrewsbury) und Florian Jahr (Burleigh, Davison) einen weitgehend identischen Deklamier-Duktus, was die oft länglichen strategischen Debatten unnötig zäh macht.

Doch die neue Münchner "Maria Stuart" bleibt unbedingt sehenswert. Das Residenztheater zeigt eine starke Tragödie um persönliche politische Verantwortung in einer bewegten Epoche der Umbrüche, die ihre Ausläufer ohne umständliche Aktualisierungen in die aufgeregte Gegenwart hineindiffundiert.

Den Schluss haben Schlocker und Eisenacher gleichwohl geändert, denn sie gönnen Elisabeth so etwas Ähnliches wie ein Happy-End.

Suchte die stark verunsicherte Herrscherin in Schillers Trauerspiel noch vergeblich Rat bei Lord Leicester, denn der "lässt sich entschuldigen" und ist längst "zu Schiff nach Frankreich" unterwegs, triumphiert sie jetzt.

In einer Finsternis, in der sich nur noch ihre Konturen erahnen lassen, ruft sie zwar einsam, aber von jedem Zweifel an ihrer Identität befreit: "Ich bin die Königin von England!"

Residenztheater, 1., 3., 10. Juni, 19.30 Uhr, % 21851940

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