Frank Castorf inszeniert Molieres "Don Juan"
Kaum zu glauben, was auf dem Theaterzettel verkündet wird. Die Spieldauer der Castorf-Inszenierung betrage nur vier Stunden und 30 Minuten. Nach der Premiere musste das Residenztheater diese Angabe sogar um 15 Minuten nach unten korrigieren. Dieses Date mit „Don Juan“ ist ein Quickie, und die Länge des Abends ist nicht das einzige, womit Frank Castorf seine Fangemeinde wie die Castorf-Hasser erstaunt. Zwischendurch ist sogar das angekündigte Stück erkennbar.
Dabei hat er in diesem Fall – anders als bei seiner tropischen „Baal“-Übermalung vor drei Jahren, die von der Brecht-Erbin ausgebremst wurde – mit Einwänden von Molière-Nachfahren garantiert nicht zu rechnen.
Es gibt kein hektisches Rotieren der Drehbühne mehr, kein aufgekratztes Herumbrüllen über Stunden hinweg, keine ausufernden Diskurse über Kapitalismus und Kolonialismus und nicht einmal die obligaten Anfälle von oralem Sex. Die gute alte und doch andere Castorf-Show beginnt im Theater.
Zwei Don Juans
Der Bühnenbildner Aleksandar Denic, der den bildsatten und zumeist nebelverhangenen Kosmos des Meisters mitschuf, stellt ein barockes Theaterchen auf seine multipel nutzbare Drehbühne. Dort läuft ganz leise und konzentriert der Dialog zwischen dem hedonistischen Zyniker und seinem braven Diener Sganarelle über Adel und Moral. Bei Castorf wird die Szene zum Selbstgespräch Don Juans, denn der hedonistische Zyniker ist zweifach besetzt.
Das doppelte Juanchen wird von zwei sehr unterschiedlichen Typen verkörpert: Einerseits der feingliedrige und jungenhaft wirkende Franz Pätzold, der kernige und massive Aurel Manthei andererseits. Beide gehören zum Kern der Münchner Castorf-Truppe wie auch Bibiana Beglau.
Obwohl sie die Donna Elvira spielt, die auf dem Besetzungszettel sogar auf Platz eins gerückt ist, findet sie sich in dieser Inszenierung in der zweiten Reihe wieder. Nach einem fulminanten Klagemonolog über die notorische Untreue ihres Gatten wird sie vom Manthei-Juan mit einem herzhaften Kneifen in die entblößte Brustwarze erste einmal verabschiedet. Die zentrale Frauenfigur wird Nora Buzalka als Charlotte, die schöne Melkerin.
Nasse erotische Träume
Die Bühne hat sich ein wenig gedreht und gibt den Blick frei auf ein ländliches Idyll mit drei Ziegenböcken, Plumpsklo und einem großen Badezuber. In dem leben die Juans einen nassen erotischen Traum aus, der ein wenig an die Dirndl-Softpornos aus den Siebzigern erinnert. Anders als damals ist das Mädel allerdings bekleidet und die beiden Jungs, die eine komplette Szene lang nackt sind, müssen ihre primären Geschlechtsmerkmale in Szene setzen. Dann gibt es noch ein paar Schweinereien, bis der Verlobte Charlottes die Herren verjagt. Den rustikalen Pierrot spielt Marcel Heuperman ebenso mit Witz und Würde wie später den Lakaien Sganarelle.
Die Lust-Spiele Don Juans sind allerdings nicht lustvoll und überhaupt nicht lustig. Diese nachdenkliche, fast melancholische Tonlage ist ungewohnt bei Frank Castorf. Natürlich bleibt er mit vielen Stilmitteln erkennbar: Zwei Kamerateams holen wie immer Bilder aus der Tiefe des verwinkelten Bühnenaufbaus in Nahaufnahmen nach vorne und Textbruchstücke aus klassenkämpferischen Klassikern sind implantiert. In diesem Fall fügen sich die Fremdtexte von George Bataille, Heiner Müller, Blaise Pascal und Alexander Puschkin durchaus in das Molièresche Treiben. Aber es bleiben Fragen: Haben wir den Beginn des Castorfschen Alterswerks erlebt? Was bleibt von Castorf ohne die Exzesse seiner bis ins Alter präpotenten Hysterienspiele?
Residenztheater, 7., 18 Uhr, 13., 18. Juli, 18.30 Uhr, Telefon 21851940
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