Franco Faccios "Amleto" im Festspielhaus - die AZ-Kritik

Kein Hamlet als zweifelnd zerrissener Intellektueller, sondern ein Prinz, den Unrecht und Mordverdacht leidenschaftlich umtreiben. So hat ihn der Komponist und damalige Star-Dirigent Franco Faccio 1871 gestaltet – doch nach Ophelia traurigem Selbstmord am Ende noch vier Tote einschließlich des Titelhelden und zu all dem keine „Hm-Ta-Ta“-Ohrwürmer – das mochten die Mailänder nicht.
Verbittert ließ Faccio das Werk im Ricordi-Archiv verschwinden und dirigierte umjubelt Verdis „Aida“, „Don Carlo“ und die Uraufführung des „Otello“. 1990 schrieb die Wiener Studentin Elisabeth Sobotka ihre Diplomarbeit über diesen „blinden Fleck“ der Operngeschichte. Sie war vom Werk so begeistert, dass sie nun als Festspielintendantin diese „Opern-Orchidee“ wieder zum Blühen bringen wollte.
Es ist eine faszinierend eigenartige Opern-Blume geworden: mal leidenschaftlich leuchtende, mal düstere Farben in eigenwillig fesselnden Formen. Literat und Verdi-Librettist Arrigo Boito und Faccio wollten einen eigenen Weg zwischen Wagner und Verdi gehen. Boitos Text verdichtet Shakespeares Handlung gekonnt. Faccios Klangsprache wurzelt in der Italianità des Jahres 1870 und spricht somit in der Aufführung sofort an. Doch Hamlets „Sein oder Nichtsein“ ist eben keine fetzige Tenor-Nummer, sondern ein düsterer Monolog.
Das große Duett Hamlet-Ophelia schwingt sich melodiös süß auf und endet in schmerzlicher Zerrissenheit. Daraus wächst ihre große Sterbeszene bewegend heraus. Da zeigt sich Faccios großes Können: ihre Grablegung nach der skurrilen Totengräber-Szene wird mit einem wuchtigen Marcia funebre und anschließendem Ensemble zum fulminanten Höhepunkt.
Packend dramatisch komponiert sind auch die Szenen von Hamlets Vater-Geist, die jeweiligen Monologe des giftmörderischen Königs und der Mutter sowie das Terzett, in dem dieser den Mord Hamlets an der Mutter verhindert.
Dazu kontrastieren die grell vordergründigen Trink- und Jubel-Chöre der Hofgesellschaft, während die Vor- und Zwischenspiele differenziert atmosphärisch einstimmen. All dies interpretierte Dirigent Paolo Carignani mit den Wiener Symphonikern anfangs premieren-enthustiastisch zu laut, nach der Pause feinfühliger.
Ein düsterer Theatertraum
Regisseur Oliver Tambosi legte alles als düsteren Theatertraum Hamlets an. Frank Schössmanns schwarzer Raum wurde von einem Schaubuden-Lichterrand eingefasst. Die Drehbühne fuhr Festtafeln und Betten herein und ließ das Ufergrün zu Ophelias Wassertod fließend vorbeiziehen.
Die durchweg klaren, realistischen Spielzüge vertiefte Tambosi ab dem Auftritt des Vater-Geistes: der schwarze Rückvorhang riss zu gleißendem Weiß auf - ließ die Ermordung des Vaters gleichsam im hellen Licht der Einsicht erscheinen und dazu schob sich ein schwarzer Quader herein: überdimensionierter Grabstein, Symbol des erdrückenden Traumas.
In den aus Commedia-dell-arte-Erinnerungen heraus modernisierten Kostümen Gesine Völlms agierte ein perfekt rollendeckendes Ensemble. Claudio Sguras abgefeimter Königs-Bariton harmonierte mit dem leidenschaftlichen Mezzo Dshamilja Kaisers als Hamlets Mutter. Dem kolossalen Basso cantante von Gianluca Burattos Geiststand der leidenschaftliche Mädchen-Sopran von Julia Maria Dan gegenüber.
Die durchweg guten Nebenrollen führte der schneidend helle Laertes-Tenor von Paul Schweinester an. Sie alle aber überragte Pavel (C)ernoch in der Titelrolle: mit blendender Bühnenerscheinung agierte er durchgehend als mal selbstbewusster, mal zweifelnder Rächer, der zum Opfer wird. Während der Mailänder Tenor einst an den hohen Anforderungen scheiterte, gelang (C)ernoch mit über die finalen Fechtkünste hinaus mit strahlender Höhe und männlichem Kern ein Titelhelden-Porträt, das über die schon genannten musikdramatisch packenden Szenen hinaus dem ganzen Werk Groß-Format gab.
Wer Gioachinos Rossinis „Wilhelm Tell“, Charles Gounods „Faust“ oder „Roméo und Julia“ spielt, muss Franco Faccios „Amleto“ den Vorzug geben. Unbedingt nachspielen oder die gesamte Bregenzer Produktion einkaufen!
Festspielhaus Bregenz, wieder am 25. und 28. Juli, 19.30 Uhr, Karten unter www.bregenzerfestspiele.com